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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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willen nicht alleine laufen», mahnte Bruno immer wieder. «Auch nicht nachts, Achim ist jede Nacht unterwegs. Und der Junge ist noch verrückter als sein Vater. Paul hat ihn ganz irre gemacht mit seinem Gerede von Bens Schuld. Wenn Ben ihm über den Weg läuft, kriegst du nur Stücke zurück.»
    In den ersten Nächten hatte Trude den Schlüssel abgezogen, wenn sie die Haustür verschloss. Aber es wäre kaum nötig gewesen. Auf Schritt und Tritt hing Ben an ihren Fersen. Wenn sie zu Bett ging, mussten die Türen des elterlichen Schlafzimmers und seines Zimmers offen bleiben. In den ersten Tagen schloss Jakob aus Gewohnheit die Schlafzimmertür hinter sich, morgens fand er seinen Sohn auf dem Flur liegend wie ein Hund.
    Nicht einmal allein auf die Toilette konnte Trude noch gehen. Sie musste zumindest die Tür auflassen, damit er sie sah. Und wenn sie duschen wollte, folgte er ihr ins Bad und setzte sich auf den Klodeckel.
    Darüber kam es schon in der ersten Woche zu einer kleinen Auseinandersetzung. Jakob wollte es ihm verbieten. «Komm da raus, Ben. Das gehört sich nicht.»
    Bruno Kleu war nach der Feldarbeit zusammen mit Jakob ins Haus gekommen und sagte: «Jetzt lass ihn in Ruhe, Jakob. Verdammt nochmal, was ist dabei, wenn er mitgeht? Er guckt Trude schon nichts weg.»
    Bruno kam jeden Abend, seit Ben wieder da war, nahm sich zwei, drei Stunden Zeit für ihn, sprach mit ihm über die Anstalt, wie schrecklich das alles für ihn gewesen sein müsse und so weiter. Er brachte ihm auch bei, wie man zurückschlug, wenn man angegriffen wurde, was gar nicht so einfach war. Ben begriff nicht, warum er einen Sandsack schlagen sollte, der nur harmlos in der Scheune hing. Bruno hatte den Sack eigens für diesen Zweck angeschafft und sogar angeboten, Ben zu sich zu nehmen, falls Trude ins Gefängnis müsse.
    Es schien, als sei Bruno ehrlich bemüht um Ben. Trude dachte manchmal, sie müsste ihm eigentlich von ganzem Herzen dankbar sein. Doch diese Dankbarkeit wollte sich nicht einstellen. Trude hatte einfach Angst, dass Bruno dahinter käme, wer die Leichen begraben und die zwei Finger von Marlene nach Hause gebracht hatte. Dass Bruno eine Tochter verloren hatte, wusste inzwischen das halbe Dorf. Bruno selbst wusste seit März 96 nur, wo ihre Leiche gewesen war. Wer sie begraben hatte, sollte er besser nie erfahren, meinte Trude.
    Wenn Bruno grinste und sagte: «Überlass ihn mir, Trude. Es hat mich schon immer gejuckt, ihn in die Finger zu bekommen. Man kann bestimmt was aus ihm machen. Man muss ihn nur richtig anpacken. Eines Tages kann er Traktor fahren, du wirst es erleben.» Dann hatte Trude das Gefühl, einen großen Fehler gemacht zu haben, als sie Ben nach Hause holte.
    Ausgerechnet Bruno Kleu. Und im Notfall würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als Ben für eine Weile in seine Obhut zu geben. Es wollte ihn sonst niemand aufnehmen. Und ihn mit Jakob allein lassen, war ausgeschlossen.
    In den ersten Tagen hatte er Jakob mit misstrauischen und furchtsamen Blicken verfolgt, was verständlich war, nachdem Jakob ihn so fürchterlich verprügelt hatte an dem Montag im vergangenen August, als er frühmorgens mit Britta Lässlers Fahrrad vor der Tür saß. Und dann der letzte Schlag mit dem Schürhaken von Lukkas Kamin. Aber seine Angst hatte sich rasch gegeben. Schon nach einer Woche übersah er seinen Vater einfach.
    Jeden Abend bemühte Jakob sich, ihn wenigstens für einen Rundgang ums Haus ins Freie zu locken, um wieder ein bisschen Vertrauen zu schaffen. Es half kein Vanilleeis, kein Schokoladenriegel, kein Betteln, kein noch so freundliches Wort. Er ging nicht mit, schaute Jakob nur flüchtig an und schüttelte den Kopf, kurz, nachdrücklich, endgültig.
    Doch mit Bruno ging er – und sei es auch nur für fünf, höchstens zehn Minuten   –, in die Scheune. Dann kam er zurück und vergewisserte sich, dass seine Mutter noch da war. Aber immerhin, fünf oder zehn Minuten und das auch dreimal am Abend. Wenn Trude ihnen folgte und einen Blick durch das Scheunentor warf, hielt Bruno entweder den Sandsack, damit der nicht herumpendelte, wenn Ben ihm zwei oder drei Faustschläge versetzte. So weit war er inzwischen. Bruno hatte ihm auch erklärt, dass er einen Menschen nur schlagen dürfe, wenn er angegriffen wurde. Es war Trude nicht recht, dass Bruno ihm so etwas beibrachte. Aber es war notwendig, wenn man Ben jemals wieder ohne Furcht allein aus dem Haus lassen wollte, das sah sie ein.
    Manchmal beobachtete Trude

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