Lukkas Erbe
dunkelgrünen Audi sorgte dafür, dass die Gefahr bekannt wurde. Mannannte ihn den schwarzen Mann. Einige von den Älteren amüsierten sich über den Ausdruck. Mit dem schwarzen Mann hatte man früher den Mädchen Bange gemacht, wenn man wollte, dass sie abends zu Hause blieben.
Obwohl die unmittelbar Betroffenen schwiegen, wusste man trotzdem bald, wer sie gewesen waren. Aber niemand wollte, dass Katrin Terjung ihren Freund verlor. Es wollte auch niemand den frisch gebackenen Vater in Schwierigkeiten bringen. Manfred Konz lag drei Tage mit einer schweren Gehirnerschütterung im Lohberger Krankenhaus und schwor sich, seine Frau nie wieder zu betrügen.
Katrin Terjung kam nicht mehr in Ruhpolds Schenke, um am Wochenende ein paar Mark zusätzlich zu verdienen. Sie wollte auf gar keinen Fall Anzeige erstatten, wollte nicht gefragt werden, was sie im Bendchen mit einem verheirateten Mann gemacht hatte, sich nicht anhören müssen, sie habe es zum größten Teil selbst verschuldet.
Die junge Frau, die sie nach Hause gebracht hatte, ging ebenfalls nicht zur Polizei, weil sie einsah, dass sie sich nur in Schwierigkeiten brachte mit einer Behauptung, die nicht den Tatsachen entsprach – und weil andere sich darum bemühten, den Täter zu fassen oder zumindest weitere Überfälle zu verhindern.
Der junge Mann, der sich den Audi seines Vaters ohne dessen Wissen ausgeliehen hatte, war Mitglied im Schützenverein, der jeden Freitagabend in Ruhpolds Schenke seine Versammlungen abhielt. Dort brachte er den «schwarzen Mann» gleich beim nächsten Treffen zur Sprache. Er behauptete, seine Freundin und er seien letzten Samstag beim Bendchen spazieren gegangen und hätten jemanden herumschleichen sehen. Ein Spanner höchstwahrscheinlich, und dem sollte man gründlich den Spaß verderben.
Ein paar Mitglieder der Versammlung erinnerten sich lebhaft an Bens zwei Jahre zurückliegenden Griff durch ein offenes Wagenfenster. Damals hatten sich einige darüber amüsiert, dass er Annette Lässlers nackte Brüste gestreichelt hatte, aufgeregt hatte sich nur Annettes Freund. Jetzt lachte niemand mehr.
Einer bezeichnete es als den Auftakt zum Blutsommer, kurz darauf war schließlich das erste Opfer verschwunden. Die Beschreibung des vermeintlichen Spanners passte auf Ben, obwohl niemand wirklich etwas Genaues gesehen hatte. Es sprach auch niemand offen aus, Ben könne der Täter sein. Was ihn betraf, hatte man sich einmal von der Kriminalpolizei eines Besseren belehren lassen müssen, nun war man vorsichtiger. Abgesehen davon stand Ben unter dem persönlichen Schutz von Bruno Kleu, und mit Bruno wollte sich niemand anlegen.
Brunos Sohn Dieter war ebenfalls Mitglied im Schützenverein. Und ausgerechnet Dieter Kleu machte den Vorschlag, eine Bürgerwehr zu bilden und im Bendchen zu patrouillieren.
Über eine Woche lag ein halbes Dutzend junger Männer im Wald auf der Lauer, jeder in irgendeiner Weise bewaffnet, einer sogar mit einer Schreckschusspistole. Nur passierte nichts in diesen Nächten. Liebespaare tauchten nicht auf. Ihnen war es nicht mehr sicher genug. Auch sonst bekam die Bürgerwehr niemanden zu Gesicht, sodass die jungen Schützenbrüder schon vermuteten, mit der Behauptung, im Bendchen treibe sich ein Spanner herum, wolle man ihnen den Spaß verderben. Gerade jetzt, wo die Nächte so mild waren, dass man sich nicht unbedingt in der Enge eines Wagens vergnügen musste.
Der Mann kannte den Wald besser als jeder von ihnen. Er sah und hörte seine Jäger, lange bevor sie auch nur vermuten konnten, er sei in der Nähe. Einige Nächte langverhielt er sich so still, als existiere er nicht. Dann suchte er andere Plätze. Die warmen Nächte verführten zum Leichtsinn. An vielen Wohnungen und Häusern blieben die Fenster oder Terrassentüren noch lange weit geöffnet. Er konnte zuschauen, sich erregen an dem, was er sah.
Ein paar Mal wägte er ab, wie groß das Risiko für ihn wäre, in ein Haus einzudringen. Meist war es ihm zu groß. Nur wenige Häuser lagen so abgeschieden wie der Bungalow an der Wegkreuzung. Nur wenige Frauen waren in der Nacht allein wie Miriam Wagner.
Miriam
Beim ersten Aufenthalt Ende März 96 hatte sie es keine zwei Stunden lang ertragen mit dem Kreideumriss auf dem blutigen Teppich. Dann tat sie, was sie immer tat, sie floh. Aber nur für drei Tage. Dann machte der Holzwurm eine Bemerkung, die sie zur Weißglut trieb. Sie solle dem Schicksal auf Knien danken für den Unfall ihrer Mutter, sagte er. So
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