Lukkas Erbe
ausgeschwitzt hat.»
Renate war nicht einverstanden gewesen, Ben aufzunehmen. Dass ihr ältester Sohn mit Marlene Jensens Freundin verkuppelt worden war, hatte sie noch hingenommen. Es war nicht viel einzuwenden gegen Patrizia. Dieter störte es nicht, dass sie ohne Unterbrechung redete. Er war unverändert der Überzeugung, da offenbare sich Intelligenz. Und dankbar war er, dass er nicht viel zur Unterhaltung beitragen musste. Patrizias Sanftmut färbte ein wenig auf ihn ab, das bekam ihm nicht schlecht, fand Renate. Abgesehen davon konnte Dieter für sich alleine entscheiden. Ben konnte das nicht.
Sich vorübergehend um ihn kümmern, für die Dauer einer Haftstrafe seiner Mutter, darüber hätte man reden können. Obwohl auch in dem Fall erst einmal seine Familie für ihn zuständig gewesen wäre. Immerhin lebte eine seiner Schwestern im Dorf, und bei den von Burgs war Platz genug. Aber die wollten ihn nicht. Illa von Burg verwies auf Bens Vater Jakob, um den sie sich kümmern mussten, damit er keine Dummheiten machte.
Auf Dauer für Ben die Verantwortung zu tragen, war eine ganz andere Sache. Renate Kleu fühlte sich damit überfordert. Er hatte einen Mann getötet, der lange Jahre sein Freund gewesen war. Erweiterte Notwehr – natürlich, aber man musste ihm trotzdem nicht dafür auf die Schulter klopfen, wie Bruno es tat. Sonst meinte er am Ende noch, es sei ein Heldenstück gewesen und dürfe bei nächster Gelegenheit wiederholt werden.
Renate Kleu kannte Ben von klein auf, hatte einmal erlebt, dass er heftig wurde, mit einem Messer auf ihren ältesten Sohn losging und Dieter beim Kampf um ein Bilderbuch in die Finger schnitt. Es war ewig her, sie waren beide noch Kinder gewesen. Inzwischen interessierte Dietersich nicht mehr für Bilderbücher. Und auch Ben war erwachsen geworden.
Dreiundzwanzig Jahre alt, größer noch als Bruno, das war ihr auf dem Friedhof aufgefallen. Vermutlich war er auch etwas stärker als Bruno, er war ja nur halb so alt. Und eigenwillig, so hatte Trude ihren Sohn häufig bezeichnet. «Was er nicht will, will er nicht, da kann man sagen, was man will.»
Was Renate sagen sollte, wenn er etwas tat, was sie nicht wollte, wusste sie beim besten Willen nicht. Ihr war am Nachmittag ein wenig mulmig geworden allein mit ihm und Patrizia. Völlig verflüchtigt hatte sich dieses Gefühl nicht, trotz der Engelsgeduld, mit der er den Wortschwall über sich hatte ergehen lassen – und Patrizias Hand an seiner Wange.
Es wäre vielleicht gegangen – mit der nötigen Autorität und der richtigen Anleitung. Bruno hatte gesagt: «Ich bringe ihm schon bei, dass er mit anpackt. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Tagsüber hab ich ja auch nicht viel Zeit. Aber abends bin ich auf jeden Fall da.»
Natürlich war er nicht da. Maria Jensen hatte die Scheidung eingereicht und suchte eine Wohnung, bei ihren Ansprüchen konnte das dauern. Bis sie etwas Passendes gefunden hatte, lebte sie bei Bruder und Schwägerin auf dem Lässler-Hof.
Mit dem Verhältnis ihres Mannes hatte Renate sich schon vor langer Zeit abgefunden. Sie hatte inzwischen auch einen Freund, davon wusste Bruno noch nichts. Da er sich selten vor zwei Uhr nachts von Maria verabschiedete, konnte Renate sich so manche stille Stunde leisten. Ihre Söhne mussten nicht mehr beaufsichtigt werden. Mit Ben sah das anders aus, das erlebte sie bereits an diesem Abend.
Nachdem Patrizia fort und die Küche aufgeräumt war,ging Renate ins Wohnzimmer. Er folgte ihr, als sie ihn dazu aufforderte. Aber lange ging es nicht gut. Renate rief ihren Freund an und schaltete für Ben den Fernseher ein. Auf Sender und Programm achtete sie nicht, schimpfte am Telefon ein wenig auf Bruno und wurde jäh unterbrochen.
«Finger weg», sagte Ben mit drohendem Unterton und einem Gesichtsausdruck, bei dem sich Renates Herzschlag beschleunigte. Sie wusste nicht, wie viel er von ihrer Unterhaltung verstand, aber was er verstand, passte ihm offenbar nicht. Und das passte zu Bruno. Das hatte er ihm in den vergangenen Wochen vermutlich als Erstes beigebracht. «Ich bin dein Kumpel, und jeder, der schlecht über mich redet, ist unser Feind.»
Das konnte heiter werden. Und nicht einmal Dieter war im Haus. Renate unterbrach das Gespräch mit ihrem Freund, schickte Ben in sein Zimmer und atmete auf, als er tatsächlich ging. Nach ein paar Minuten folgte sie ihm. Er saß auf dem Bett wie am Nachmittag in der Küche, reglos, wie in Gedanken versunken. Sie gab ihm
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