Lukkas Erbe
Patrizia dich anhimmelt, bildest du dir garantiert nur ein. Sie ist ein intelligentes Mädchen, geht aufs Gymnasium und will auch mal ein gutes Gespräch führen. Für solche bist du ein Bauerntrampel, höchstens gut als Chauffeur.»
Daraufhin fühlte Dieter Kleu sich verpflichtet zu beweisen, dass er alles andere war als ein Bauerntrampel und man auch mit ihm gute Gespräche führen konnte. Viel sagen musste er ja nicht, das übernahm Patrizia. Sie war selig, Dieter bildete sich ein, ein intelligentes Mädchen von seinen Qualitäten überzeugt zu haben. Und Bruno Kleu hatte jemanden, von dem er all die kleinen und nichtigen Begebenheiten aus dem Leben seiner Tochter erfahren konnte.
Patrizia fühlte sich geschmeichelt von Brunos Aufmerksamkeit. Bereitwillig und mit großer Ausdauer erzählte sie ihm all die Dinge, von denen Maria Jensen nichts wusste oder über die sie nicht reden wollte.
Patrizia war ein bodenständiger Typ, eingehüllt in diese besondere Art von Naivität, die nur ein behütendes Elternhaus in dörflichen Verhältnissen hervorbringt, das Nesthäkchen in ihrer Familie, vierzehn Jahre jünger als ihr Bruder Hartmut. Für ein neugeborenes Kalb konnte sie sich eher begeistern als fürs Kölner Nachtleben, von dem Marlene immer geschwärmt hatte. Insofern hatte Bruno Kleu für seinen Sohn keine schlechte Wahl getroffen.
Patrizias Eltern waren nicht völlig einverstanden mit ihren Zukunftsplänen. Vor allem ihr Vater bestand darauf, dass sie sich mehr Zeit für die Schule nahm. Sie durfte immer erst am späten Nachmittag zum Anwesen ihres zukünftigen Schwiegervaters radeln. Vorher hatte sowieso niemand Zeit für sie.
Am Nachmittag nach Trude Schlössers Beerdigung fuhr sie etwas früher los. Es waren nur noch Vorbereitungen für eine Englischklausur, etwas Geographie, Mathe und Geschichte zu erledigen. Das wollte sie samstags tun. Sie hatte Ben seit Jahren nicht gesehen und war neugierig auf den Helden des vergangenen Sommers. Ihr Vater gehörtezu den wenigen, die die Ansicht vertraten, man müsse Ben einen Orden verleihen, weil er das Dorf von einem Monster befreit hatte.
Als Fünfjährige hatte Patrizia sich einmal vor Ben gefürchtet. Damals hatte er im Garten ihrer Eltern eine ihrer Puppen zerrissen. Ihre Mutter hatte sich aufgeregt, aber später tausendmal gesagt: «Ach Gott, der arme Kerl.» Und so sah sie ihn an dem Freitagnachmittag.
Bruno war nicht daheim. Dieter, den Patrizia natürlich zuerst begrüßte, arbeitete alleine im Stall und war sauer, weil sein Vater sich ein paar schöne Stunden mit Maria Jensen gönnte. «Und ich steh hier allein mit der ganzen Scheiße», fluchte Dieter. Das war wörtlich gemeint. Es musste ausgemistet werden, ein Grund für Patrizia, sich nicht lange im Stall aufzuhalten.
Von Bruno und Maria wussten inzwischen alle. Patrizia hatte es in der Wohnung ihres Bruders von Andreas Lässler und auch von Walter Hambloch gehört. Zuerst war sie ein bisschen schockiert gewesen, die Mutter ihrer ermordeten Freundin und ihr zukünftiger Schwiegervater. Inzwischen fand sie es nur noch romantisch
und konnten zusammen nicht kommen
. Aber all die Jahre hatten sie sich geliebt, und nun versteckten sie sich auch nicht mehr. Es war natürlich schade für Dieters Mutter. Dass Renate Kleu sich nicht gerne betrügen ließ, verstand Patrizia. Ihr wäre das auch nicht recht gewesen. Aber Ben konnte nun wirklich nichts dafür, dass Dieters Vater eine andere Frau liebte.
Als sie das Haus betrat, war Renate Kleu mit der Bügelwäsche fertig und nun mit der Zubereitung des Abendessens beschäftigt. Sie hackte mit verschlossener Miene eine Zwiebel in kleine Würfel. Ben saß am Tisch, noch bekleidet mit der dunklen Flanellhose und einem weißen Hemd, das in der Mitte ein wenig beulte, weilsich niemand darum gekümmert hatte, in welcher Reihenfolge er die Knöpfe schloss.
Ganz still und in sich gekehrt war er, versunken in seinem Gedächtnis. Mit dem verlorenen Gesichtsausdruck, den er dabei zeigte, tat er Patrizia so Leid wie die kleinen Kälbchen, wenn sie von ihren Müttern getrennt wurden. Sie setzte sich zu ihm, lächelte ihn herzlich an und fragte: «Na du, bist du sehr traurig?»
Na du. Zuerst dachte er, das sei ein neuer Name für ihn. Es war ja alles neu, das Haus, sein Zimmer, sein Leben, die Erkenntnis, die er auf dem Friedhof gewonnen hatte. Aber dann konnte er nicht mehr denken, nur noch zuhören. Bis Renate Kleu das Abendessen auf den Tisch brachte, hatte Patrizia
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