Lukkas Erbe
die Übergardine teilweise vorgezogen. Und für einen irrealen Augenblick dachte ich, sie trüge einen eng anliegenden, rot gemusterten Schlafanzug. Ich hatte schon viel gesehen, aber noch nie einen so blutigen Körper auf so blutiger Bettwäsche.
Ihr linkes Bein hing über den Bettrand, das Knie berührte den Boden. In dünnen Streifen floss das Blut von der Hüfte über ihren Oberschenkel und war stellenweise schon angetrocknet. Ihr Gesicht war halb im Kissen verborgen, blutig, als hätte jemand mit blutigen Händen ihre Wangen gestreichelt. Unzählige Schnittwunden, wie tief sie ins Fleisch gingen, konnte ich nicht abschätzen. Ihr gesamter Rücken war zerschnitten, das Blut über Arme und Beine verrieben.
Patrizia stand unter Schock, mein unerwartetes Erscheinen nahm sie als willkommen hin, sie huschte zur anderen Seite des Bettes. «Helfen Sie mir mal», verlangte sie energisch. «Wir packen sie warm ein und bringen sie weg. Ich hab Brunos Auto, da ist genug Platz drin.»
Sie machte sich daran, den blutigen Körper mit dem Laken zu umwickeln. Ich schob sie zur Seite und hatteAngst, das Laken wieder wegzunehmen, wollte Nicole Rehbach nicht umdrehen und Stichwunden sehen. Aber es gab keine, Brust und Leib waren unverletzt, nur rot gefärbt von dem blutigen Laken.
Patrizia neben mir atmete mit geöffnetem Mund, schaute mit großen Augen zu. «Oder ist sie tot?»
Das war sie nicht, noch nicht. Ihr Atem ging flach, der Puls war am Hals tastbar. Ich konnte nicht abschätzen, wie bedrohlich ihre Verletzungen waren. «Hast du schon einen Arzt gerufen?»
«Das ging nicht», erklärte Patrizia. «Aber ich hab einen Termin um zehn Uhr.» Sie war völlig verstört.
Ich verständigte die Notrufzentrale, die Wache in Lohberg und meinen Kollegen Dirk Schumann. Er wusste, was zu tun war. Dann versuchte ich, von Patrizia ein paar Auskünfte zu erhalten. Für Nicole Rehbach konnte ich nicht viel tun, nur ihren Puls und die Atmung überwachen, mich bereithalten für eine Reanimation, die bei dem Blutverlust wahrscheinlich sinnlos gewesen wäre.
Patrizia plapperte wirr durcheinander von Bruno, ihrem Mann, viel Arbeit in den Rüben, Nicoles Geburtstagsfeier und einem Geschenk, das nicht fertig geworden war. Dabei schob sie eine Hand in die Seitentasche ihrer Latzhose.
Ich war selbst nicht in der richtigen Verfassung, aber irgendwann fiel mir doch auf, dass sie die Hand nicht wieder aus der Tasche nahm. «Was hast du da?»
«Nichts», behauptete sie. «Ich wollte es Nicole nur mal zeigen, aber es ist noch nicht fertig, habe ich doch schon gesagt.»
«Lass mich mal sehen.»
Sie zog eine Holzfigur aus der Tasche, die Mädchenfigur ohne Kopf und Hände, die Vanessa Greven im Schreck hatte fallen lassen, als ihr Mörder erschien. Wiehätte ich ahnen sollen, welche Bedeutung diesem Teil zukam? Patrizia ließ mich nur einen kurzen Blick darauf werfen, steckte sie sofort wieder ein und behauptete: «Sie ist mir leider kaputtgegangen, aber das kann man wieder kleben mit Holzleim.»
Sie wusste vor Panik nicht ein noch aus und zauberte trotzdem eine einigermaßen plausible Erklärung herbei. Die personifizierte Naivität. Mütterchen Courage in Sorge um ihr Riesenbaby. Für Patrizia war Ben das, pflegeleichter als ein Säugling, er brauchte keine Windeln, konnte alleine essen, duschen und machte sich nützlich, soweit es seinen Möglichkeiten entsprach.
«Wie lange bist du schon hier?» Ich betrachtete ihren prallen Leib und den breiten, goldenen Trauring. «Darf ich überhaupt noch du sagen?»
«Klar doch.» Patrizia strich eine Haarsträhne aus der Stirn, ihre Hände hinterließen einen blutigen Streifen. Sie überlegte. «Keine Ahnung, nicht lange. Als ich ankam, hab ich noch gedacht, jetzt übertreibt Nicole aber mit Lüften. Man kann doch die Tür nicht auflassen bei dem Wetter. Es wird ja alles nass.»
Das war die einzige sinnvolle Information, die ich von ihr erhielt. Von Ben war mit keinem Wort die Rede. Mir kam auch nicht der Gedanke, mich bei ihr nach ihm zu erkundigen. Sie wollte ins Wohnzimmer mit dem Hinweis: «Ich sag mal schnell meinen Termin ab, vielleicht geht es jetzt.»
Ich hielt sie zurück. «Nichts anfassen.»
«Aber ich muss denen sagen, dass ich nicht kommen kann.»
Sie richtete den Blick auf ihre Schwägerin und stammelte: «Das ist so gemein. Wer macht denn so was?»
Ich überließ ihr mein Handy, damit war sie ein wenig abgelenkt. Zuerst rief sie in der Praxis ihres Gynäkologenan, danach Bruno
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