Lukkas Erbe
Kleu. «Mit Nicole ist was passiert, sie blutet ganz furchtbar.» Das hörte ich noch.
Ob sie noch mehr sagte, weiß ich nicht. Der eintreffende RTW lenkte mich von ihr ab, der Notarzt war dicht hinter dem Rettungswagen. Sie verloren nicht viel Zeit mit der Erstversorgung vor Ort. Der Notarzt legte nur eine Infusion an und gab ein knappes Kommando: «Raus mit ihr!» Die beiden Sanitäter hoben sie auf eine Trage, deckten sie zu und hasteten mit ihr ins Freie.
Ich konnte gerade noch fragen. «Wohin bringen Sie sie?»
«Lohberg», rief der Notarzt auf dem Weg zu seinem Wagen. «Die haben seit geraumer Zeit einen Chirurgen, wie Sie lange einen suchen müssen.»
Dann waren sie weg. Das Martinshorn hörte ich noch eine ganze Weile. Ich wollte mich wieder Patrizia widmen, aber sie war nicht mehr da. Mein Handy hatte sie mitgenommen. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass Nicoles Wunden ihr einen ganz bestimmten Verdacht aufgedrängt hatten.
Nur eine sinnvolle Beschäftigung
Da Nicole sich geweigert hatte, mit Miriam Wagner über ein Messer für Ben zu sprechen, beschaffte Patrizia ihm im November 96 auf ihre Weise geeignetes Werkzeug. Für Nicole war die erste Arbeitswoche im Bungalow vorbei, und abgesehen von dem trübsinnigen Beginn und dem hässlichen Zwischenfall mit Achim Lässler war es eine recht angenehme Woche für sie gewesen.
Nach ihren Einkäufen am Freitagnachmittag hatten sie noch gemütlich Kaffee getrunken, Apfelstrudel gegessen,sich über dies und das unterhalten. Das Thema Ben und Lukka vermieden beide.
Samstags hatte Nicole frei, Patrizia auch. Bevor sie an diesem Morgen zu Bruno Kleus Hof radelte, kam sie in den Anbau – ohne besonderen Grund, nur um mal zu fragen, wie es ging. Nicole und Hartmut saßen noch beim Frühstück. Hartmut wollte danach zum Computerladen fahren. Überaus hilfsbereit begleitete Patrizia ihren Bruder zur Garage, damit er nicht nochmal aussteigen musste, um das Garagentor zu schließen. Zurück in die kleine Wohnung kam sie nicht mehr.
In der Garage lag ein Stapel mit Holzresten, die vom Innenausbau der Wohnung übrig geblieben waren. Es hing auch etwas Werkzeug an der Wand. Als Nicole nach draußen ging, um nachzuschauen, was Patrizia so lange in der Garage trieb, waren bereits alle kleineren Holzteile in zwei großen Plastiktüten verstaut. Nun zersägte Patrizia eifrig Deckenpaneele und einen Balkenrest in handliche Stücke. Der Gedanke, um Erlaubnis zu fragen, war ihr nicht gekommen. «Ihr braucht das doch nicht mehr. Und Ben freut sich bestimmt, wenn ich ihm ein bisschen Holz mitbringe.»
Dass Holz allein nicht genügte, erklärte Patrizia nicht. Und Nicole hatte das winzige Pferdchen aus dem Bruch längst vergessen. Auch an Patrizias Bitte um ein gutes Wort bei Miriam dachte sie nicht mehr. Sie half noch bei der Arbeit, hielt den Balken fest, damit Patrizia gerade sägen konnte, suchte anschließend noch zwei große Plastiktüten im Küchenschrank.
Unbemerkt von Nicole konfiszierte Patrizia im Wohnzimmer einen Satz kleiner Feilen und ein so genanntes Konfektionsmesser. Mit dieser Art von Messern hatte Patrizias Mutter vor Jahren in Heimarbeit für einen kleinen Betrieb in Lohberg die Anspritzer von Plastikgussteilenentfernt. In einem flachen Griff etwa von der Länge eines Bleistifts steckte eine austauschbare, kurze, sehr spitze und höllisch scharfe Klinge. In Patrizias Elternhaus lagen auch noch drei Päckchen mit je hundert Ersatzklingen.
Patrizia wollte nicht mehr, als Ben ein wenig ablenken von all den Dingen, die er nicht mehr hatte und durfte. Dass Renate oder Bruno Kleu einverstanden wären, wenn sie ihn mit einem Konfektionsmesser ausstattete, glaubte sie kaum. Deshalb steckte sie ihr Beutestück kurz darauf zusammen mit drei Feilen, einem halben Dutzend Ersatzklingen und etlichen Filzstiften in ein ausrangiertes Schulmäppchen. Zur perfekten Täuschung legte sie noch einen Schreibblock dazu.
Am Samstagnachmittag brachte sie ihm am Küchentisch erst einmal bei, wie man mit Filzstiften auf ein Blatt Papier kritzelte. Als Renate den Tisch brauchte, um einen Korb Wäsche zu bügeln, räumte Patrizia bereitwillig das Feld. «Wir malen in seinem Zimmer weiter.»
Die Tür blieb offen, damit nicht wieder ein falscher Verdacht aufkam. Heiko hatte das Haus nach dem Mittagessen verlassen, in der oberen Etage hielt sich niemand auf. Patrizia konnte ihn ungestört unterweisen.
Erstens: Er durfte sich nur in dem kleinen Duschbad mit Holz und
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