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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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müssen, wie hätte er sie sonst so in die Erde legen sollen, dass alle Teile an ihrem Platz waren?

15.   Oktober 1997
    Ben war nicht in seinem Zimmer, als Patrizia und Dieter Kleu von Nicoles Geburtstagsfeier zurückkamen. Sie hatten auch nicht erwartet, ihn in seinem Bett zu finden. Die Figur, an der er abends geschnitzt hatte, um sie Nicole zum Geburtstag zu schenken, war noch nicht fertig. Es war eine Frau mit kurzem Haar, das war schon gut zu erkennen. Sie saß in einem Sessel, das war auch gut zu erkennen. Ein Arm war angewinkelt, es sah aus, als führe sie ein Glas zum Mund. Aber Hand und Glas waren noch nicht geformt. Insgesamt war die Figur noch sehr rau, überall sah man die Ansätze des Messers, mit dem er schnitzte. Man hätte sie zum Schleifen in Leonard Darscheids Atelier bringen müssen. Daran wagte Patrizia nicht einmal zu denken.
    Als Patrizia, Dieter und Bruno Kleu am nächsten Morgen um sechs aufstanden, war Ben immer noch nicht da. Auch das war nicht ungewöhnlich. Manchmal kam er frisch geduscht und fertig angezogen aus seinem Zimmer, wenn sie hinaus auf den Flur trat. Manchmal saß er schon erwartungsvoll in der Küche und hatte den Tisch gedeckt. Manchmal tauchte er erst in der Einfahrt auf, wenn sie mit dem Frühstück begonnen hatten.
    An dem Morgen nicht. Patrizia versuchte, ihn auf seinemHandy zu erreichen, es klingelte, aber er nahm nicht ab. Das war noch nie vorgekommen. «Jetzt reg dich nicht auf», sagte Bruno. «Er kommt schon, wenn er Hunger hat.»
    Er kam nicht. Um halb acht brachen die Männer auf, das Vieh war versorgt, die Rüben warteten. Bruno stieg zu Dieter in den Golf, um zum Schlösser-Hof zu fahren, wo die Maschinen in der Scheune standen. Um zehn Uhr hatte Patrizia einen Termin beim Gynäkologen – sie war inzwischen im letzten Monat schwanger – da konnte sie Ben nicht mitnehmen. «Wenn er auftaucht, bringst du ihn raus zum Bruch», sagte Bruno.
    Es war neblig. Der Golf fuhr vom Hof und verschwand schon kurz hinter der Einfahrt. Immer wieder schaute Patrizia aus dem Fenster. Draußen bewegten sich nur die Nebelschwaden. Bis um acht Uhr versuchte Patrizia noch zweimal, Ben auf dem Handy zu erreichen. Beim ersten Mal hörte sie noch das Freizeichen, beim zweiten Mal war das Telefon ausgeschaltet. Das hatte er bis dahin nie gemacht.
    Patrizia war sehr beunruhigt, wollte nicht nach Lohberg fahren, ohne zu wissen, dass er gut aufgehoben war. Sie stieg ins Auto, drehte eine Runde, wusste aber nicht so recht, wo sie nach ihm suchen sollte um diese Zeit. Zuerst fuhr sie zum Friedhof, obwohl sie nicht erwartete, ihn dort anzutreffen. Dann kurz rauf zum Schlösser-Hof, ohne Erfolg. Jakob wohnte bei den von Burgs, schaute nur ab und zu im Haus nach dem Rechten. Patrizia fuhr weiter zu ihrer Schwägerin, weil Nicole ihn ab und an schon mal zum Frühstück hereinrief, wenn sie wusste, dass Patrizia zum Arzt musste und er morgens in ihrem Garten auftauchte. Nur hatte Patrizia ihren Arzttermin am vergangenen Abend nicht erwähnt.
    Eine Viertelstunde nach Patrizia traf ich ein. Nacheinem langen Abend und einer Nacht voller Erinnerungen an Ben und den Blutsommer war ich sehr früh aufgebrochen, viel früher als ursprünglich beabsichtigt. Ich wollte zuerst zum Schlösser-Hof, sehen, was dort los war.
    Mit Nicole Rehbach hatte ich keine bestimmte Uhrzeit vereinbart. «Ich bin den ganzen Tag zu Hause», hatte sie gesagt und mich gebeten, über den Feldweg zu kommen. «Wenn Sie an der Tür zur Bachstraße klingeln, höre ich vielleicht nicht, wenn Sie klingeln. Meine Schwiegereltern sind in Urlaub.»
    Das war fadenscheinig, weil die Verbindungstür von ihrem Wohnzimmer direkt in den Hausflur führte. Aber wenn ich den Wagen auf der Bachstraße abstellte, mussten die Nachbarn ihn bemerken. Offensichtlich wollte Nicole Aufsehen vermeiden.
    Im dichten Verkehr auf der Autobahn brauchte ich fast eine Stunde, ehe ich das Ortsschild erreichte und abbog. Es war immer noch neblig. Ich war dankbar für die schlechte Sicht. So sah ich vom Bungalow im Vorbeifahren nicht viel mehr als den niedrigen Zaun des Vorgartens und an der Grundstücksgrenze neben dem Weg zum Lässler-Hof die Zypressen als hohe, grüne Wand aufragen. Der Vorgarten machte einen gepflegten Eindruck. An den beiden Fenstern der Vorderfront waren die Rollläden herabgelassen. Die rustikalen Holzläden dienten nur noch der Zier.
    Fünfhundert Meter weiter auf Höhe der Apfelwiese kam mir ein Mann entgegen. Ich sah ihn erst im letzten

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