Lulu
Grundsätzen halten – sonst können Sie das Kind in seiner bodenlosen Unerfahrenheit gar nicht heiraten …
SCHÖN
Willst du, dass ich mich an dir vergreife!
LULU (rasch)
Ja! Ja! Was muss ich sagen, damit Sie es tun? Um kein Königreich möchte ich jetzt mit dem unschuldigen Kinde tauschen! Dabei liebt das Mädchen Sie, wie noch kein Weib Sie je geliebt hat!!
SCHÖN
Schweig, Bestie! Schweig!
LULU
Heiraten Sie sie – dann tanzt sie in ihrem kindlichen Jammer vor
meinen
Augen, statt ich vor ihr!
SCHÖN (hebt die Faust)
Verzeih’ mir Gott …
LULU
Schlagen Sie mich! Wo haben Sie Ihre Reitpeitsche! Schlagen Sie mich an die Beine …
SCHÖN (greift sich an die Schläfen)
Fort, fort …! (Stürzt zur Türe, besinnt sich, wendet sich um.) Kann ich jetzt so vor das Kind hintreten? – Nach Hause! – Wenn ich zur Welt hinaus könnte!
LULU
Seien Sie doch ein Mann. – Blicken Sie sich einmal ins Gesicht. – Sie haben keine Spur von Gewissen. – Sie schrecken vor keiner Schandtat zurück. – Sie wollen das Mädchen, das Sie liebt, mit der größten Kaltblütigkeit unglücklich machen. – Sie erobern die halbe Welt. – Sie tun, was Sie wollen – und Sie wissen so gut wie ich – dass …
SCHÖN (ist völlig erschöpft auf dem Sessel links neben dem Mitteltisch zusammengesunken)
Schweig!
LULU
Dass Sie zu schwach sind – um sich von mir loszureißen …
SCHÖN (stöhnend)
Oh! Oh! Du tust mir weh!
LULU
Mir tut dieser Augenblick wohl – ich kann nicht sagen wie!
SCHÖN
Mein Alter! Meine Welt!
LULU
– Er weint wie ein Kind – der furchtbare Gewaltmensch! – Jetzt gehen Sie so zu Ihrer Braut und erzählen Sie ihr, was ich für eine Seele von einem Mädchen bin – keine Spur eifersüchtig!
SCHÖN (schluchzend)
Das Kind! Das schuldlose Kind!
LULU
Wie kann der eingefleischte Teufel plötzlich so weich werden. – – Jetzt gehen Sie aber bitte. Jetzt sind Sie nichts mehr für mich.
SCHÖN
Ich kann nicht zu ihr.
LULU
Hinaus mit Ihnen! Kommen Sie zu mir zurück, wenn Sie wieder zu Kräften gelangt sind.
SCHÖN
Sag’ mir um Gottes willen, was ich tun soll.
LULU (erhebt sich; ihr Mantel bleibt auf dem Sessel. Auf dem Mitteltisch die Kostüme beiseite schiebend)
Hier ist Briefpapier …
SCHÖN
Ich kann nicht schreiben …
LULU (aufrecht hinter ihm stehend, auf die Lehne seines Sessels gestützt)
Schreiben Sie! – Sehr geehrtes Fräulein …
SCHÖN (zögernd)
Ich nenne sie Adelheid …
LULU (mit Nachdruck)
Sehr geehrtes Fräulein …
SCHÖN (schreibend)
– Mein Todesurteil!
LULU
Nehmen Sie Ihr Wort zurück. Ich kann es mit meinem Gewissen – (da Schön die Feder absetzt und ihr einen flehendlichen Blick zuwirft.) Schreiben Sie Gewissen! – nicht vereinbaren, Sie an mein unseliges Los zu fesseln …
SCHÖN (schreibend)
Du hast recht. – Du hast recht.
LULU
Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich Ihrer Liebe – (da sich Schön wieder zurückwendet.) Schreiben Sie Liebe! – unwürdig bin. Diese Zeilen sind Ihnen der Beweis. Seit drei Jahren versuche ich mich loszureißen; ich habe die Kraft nicht. Ich schreibe Ihnen an der Seite der Frau, die mich beherrscht. – Vergessen Sie mich. – Doktor Ludwig Schön.
SCHÖN (aufächzend)
O Gott!
LULU (halb erschrocken)
Ja kein »O Gott«! – (Mit Nachdruck.) Doktor Ludwig Schön. – Postskriptum: Versuchen Sie nicht, mich zu retten.
SCHÖN (nachdem er zu Ende geschrieben, in sich zusammenbrechend)
Jetzt – kommt die – Hinrichtung …
Vierter Aufzug
Prachtvoller Saal in deutscher Renaissance mit schwerem Plafond in geschnitztem Eichenholz. Die Wände bis zur halben Höhe in dunklen Holzskulpturen. Darüber an beiden Seiten verblasste Gobelins. Nach hinten oben ist der Saal durch eine verhängte Galerie abgeschlossen, von der links eine monumentale Treppe bis zur halben Tiefe der Bühne herabführt. In der Mitte unter der Galerie die Eingangstür mit gewundenen Säulen und Frontispiz. An der rechten Seitenwand ein geräumiger hoher Kamin. Weiter vorn ein Balkonfenster mit geschlossenen schweren Gardinen. An der linken Seitenwand vor dem Treppenfuße eine geschlossene Portiere in Genueser Samt.
Vor dem Kamin steht als Schirm eine chinesische Klappwand. Vor dem Fußpfeiler des freien Treppengeländers auf einer dekorativen Staffelei Lulus Bild als Pierrot in antiquisiertem Goldrahmen. Links vorn eine breite Ottomane, rechts davor ein Fauteuil. In der Mitte des Saales ein
Weitere Kostenlose Bücher