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Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Titel: Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Vogltanz
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gemauerten Klangarkaden niedergelassen hatte und
aus leeren Augen in die unter ihm liegende, dunkle Stadt starrte. Der Wind trug
spinnennetzgleiche Regenschleier in sein Gesicht, trotzdem blinzelte er nicht,
ganz so, als wäre sein Körper von einer unsichtbaren Barriere umgeben, die ihn
gegen alle physischen Einflüsse abschirmte. Nach allem, was ich von ihm gesehen
hatte, erschien mir dies nicht einmal abwegig.
    Beinahe
auf Zehenspitzen näherte ich mich ihm und ließ mich schweigend neben ihm unter
dem Klangbogen nieder. In unserem Rücken war das schwache Glänzen der Glocke zu
sehen, die wie eine leblose, bronzene Fledermaus im Glockenstuhl hing; still
und reglos. Ich fragte mich, ob ihr nach all der Zeit wohl überhaupt noch ein
Klang zu entlocken wäre.
    »Sie
sind Andreas, nicht wahr?«, durchbrach meine Stimme plötzlich das Schweigen.
Die Frage war beinahe ohne mein Zutun nach außen gedrungen.
    Der
Blonde wandte nicht den Kopf. Zuerst glaubte ich, er hätte meine Worte nicht
gehört, glaubte, er würde bereits mit offenen Augen schlafen, dann aber lief
eine leichte Bewegung durch seinen Körper.
    »Andreas
ist tot.« Seine Stimme war ohne jede Emotion.
    »Das
behaupten Sie «, warf ich ein. »Doch dass ich Ihnen das Meiste glaube,
bedeutet noch lange nicht, dass ich jedes Ihrer Worte schlucke.« Ich sog die
regenschwere Luft in die Lungen, schloss die Augen, genoss die kühlende
Feuchtigkeit in meinem Gesicht.
    Ich
erhielt keine Antwort. Im Grunde genommen hatte ich auch nicht damit gerechnet.
    »Wenn
Sie nicht Andreas sind«, fuhr ich nach einer Weile fort, »wer sollten Sie dann
sein? Sie sagen, Sie sind ein alter Freund Hansens. Ihre magischen Kenntnisse
sind kaum zu überbieten, und außerdem haben Sie eine nicht abzustreitende
Ähnlichkeit mit Kiro. Ihrem Sohn «, fügte ich betont hinzu.
    »Andreas
ist tot«, wiederholte der Blonde ungerührt. »Er starb auf dieselbe Weise wie
zahlreiche Menschen in jenen Zeiten: als Kanonenfutter.«
    »Dann
sagen Sie mir Ihren Namen«, verlangte ich. »Wenn Sie mich wirklich davon überzeugen
wollen, dass Sie nicht der sind, für den ich Sie halte, ist alles, was Sie tun
müssen, mir Ihre eigentliche Identität anzuvertrauen.«
    Erneut
erhielt ich keine Antwort, und mein Verdacht, dass ich es in Wahrheit mit Kiros
todgeglaubtem Vater zu tun hatte, erhärtete sich. Warum er allerdings nicht
wollte, dass ich es erfuhr, war mir ein Rätsel. Vielleicht hatte er ähnliche
Beweggründe wie Hansen, sich bedeckt zu halten – vielleicht wünschte auch er
sich nichts weiter als ein geruhsames Leben, Abstand von den alten Zeiten, die
so viel Schmerz für ihn bedeutet haben mussten.
    »Sie
schulden mir nichts«, sagte ich langsam. »Keine Aufrichtigkeit, keine Wahrheit.
Aber zumindest Ihr Sohn hat ein Recht darauf, zu erfahren, dass Sie noch am
Leben sind. Es ist nicht zu spät, wissen Sie?«
    »Ich
habe keinen Sohn, Mädchen.« Seine Augen stachen wie Dolche in meine, als mein
Mund sich zu einer Erwiderung öffnete. »Schweig.« Das Wort war frostig und
schneidend wie Stahl, und ich gehorchte augenblicklich.
    Er
schloss die Lider, und obwohl das ganz unmöglich war, schien es, als wäre er sofort
eingeschlafen. Ich seufzte leise, sah an ihm vorbei in die finstere Nacht.
Allmählich begann der Zweifel an mir zu nagen. Hatte ich überstürzt gehandelt,
als ich Andreas (ich beschloss, ihn zumindest in Gedanken so zu nennen)
nachgelaufen war wie ein Kücken seiner Glucke? Zwar hatte Hansen mir vieles
nicht erzählt und mich in manchen Dingen sogar dreist belogen, doch dieser Mann
war ein Buch mit sieben Siegeln für mich, dem ich nicht einmal seinen eigenen
Namen entlocken konnte.
    Ich
würgte diese unangenehmen Gedanken ab. Ja, Andreas – oder wie er heißen mochte
– war ein verschlossener Mensch, aber er war auch ein unvorstellbar mächtiger
Magier. Wenn ich die Grenzen meiner Fähigkeiten erforschen wollte, würde dieser
Mann mir dazu verhelfen, dessen war ich mir sicher. Und letztendlich war es
mein höchstes Ziel, Macht zu erlangen. Hansen und Kiro hingegen waren schwach
und würden mich nur behindern, sie waren lästige Anhängsel, die ich schon vor
langer Zeit hätte abtrennen sollen wie ein Paar überzählige Gliedmaßen. Nun
gut, einige Phantomschmerzen unmittelbar nach der Amputation waren wohl nicht
vermeidbar, aber auch das würde vergehen, und schon sehr bald würde ich sie
vollends vergessen haben.
    Mein
Blick wanderte erneut zu Andreas, der reglos neben mir

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