Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
wehrte sich dagegen, mich länger als notwendig in diesem Haus aufzuhalten.
»Lies
sie.«
»Etwa
alle?« Ich kam nun doch näher, ließ den Blick zweifelnd über die Bände schweifen.
Es mussten hunderte sein.
»Du
wirst wissen, welche«, antwortete Andreas.
Ich
setzte zu einem erneuten Einwurf an, aber der Magier schnitt mir mit einer
bestimmten Geste das Wort ab. »Du wolltest lernen. Dich als würdig erweisen.
Die Apokalypse verhindern.« Zorn und Ungeduld schwangen in seiner Stimme mit.
»Ja,
das wollte ich …«
»Was
hält dich dann auf?«
Ich
schnappte nach Luft, hatte das Gefühl, von den Wänden ringsum erdrückt zu
werden. »Nichts«, presste ich schließlich hervor. »Sie haben recht.«
»Ich
habe immer recht. Und nun lies. Ich bin sicher, dass dies einen Großteil deines
Wissensdurstes stillen wird.«
Nachdem
er mir schweigend zugesehen hatte, wie ich an das Regal herantrat und nach
einem der Bücher griff, wandte er sich ruckartig um und verließ ohne ein
weiteres Wort den Raum. Anstatt mich erleichtert zu fühlen, nahm mein Unwohlsein
noch weiter zu, aber ich gestattete mir nicht, diese lächerlichen Gefühle zuzulassen.
Ich
warf einen Blick auf den Einband: »Johann Weyer: De Praestigiis«.
Ja herrlich , dachte ich, auch noch Latein.
Als
ich das Buch jedoch aufklappte, stellte ich fest, dass es sich um eine Übersetzung
handelte. Noch einmal Glück gehabt.
Mit
dem schweren Band in der Hand, bewegte ich mich langsam durch den Saal,
vertiefte mich in die altertümliche Sprache. Schon nach wenigen Seiten stellte
ich das Buch zurück ins Regal und griff nach dem nächsten, das den Titel »Die
mystischen Erscheinungen in der menschlichen Natur« trug und von einem gewissen
Maximilian Perty geschrieben worden war. Auch über den Inhalt dieses Werks
verschaffte ich mir nur einen groben Überblick, ehe ich es wieder an seinen
Platz stellte. Bei beiden Bänden handelte es sich um bejahrte Abhandlungen über
das Übernatürliche, in denen zwar interessante Ansichten vertreten wurden, die
jedoch eindeutig nicht von Menschen verfasst worden waren, die selbst mit der
alten Kunst in Berührung gekommen waren.
Auf
diese Weise verfuhr ich mit den nächsten dreißig Büchern, ehe ein Band meine
Aufmerksamkeit erregte. Francesco-Maria Guazzo schrieb in seinem »Compendium
Maleficarum« (schon wieder dieses lästige, sperrige Latein – ein Glück, dass
der Vorbesitzer ebenso wie ich die übersetzten Fassungen vorzuziehen schien)
über Gestaltwandler. Er vertrat die Theorie, dass Verwandlungen Trugbilder der
Luft seien, die der Teufel erzeuge. Des weiteren erklärte er, dass eine Hexe
sich mit Luft in der Gestalt des Wesens umhülle, das sie darstellen wolle.
Diese Mutmaßungen gemahnten mich an das, was Hansen mir über Ihn und Seine gestaltwandlerischen Fähigkeiten gesagt hatte – dass Er nicht
tatsächlich Sein physisches Erscheinungsbild verändern könne, sondern
lediglich eine Illusion erzeuge, die ihn verwandelt erscheinen ließ. Den Teufel
eliminierte ich in dieser Gleichung bedenkenlos, Guazzos übrige Ausführungen
allerdings waren von nicht abzustreitender Logik. Erregung packte mich, als ich
spürte, dass ich der Wahrheit ein Stück nähergekommen war.
Ich
verbrachte zahlreiche Stunden mit dem Studium der umfangreichen Bibliothek,
wobei ich in die meisten Bücher nur wenige Minuten investierte, während ich
mich mit einigen vereinzelten Exemplaren auf den von Staub bedeckten Boden
setzte und jedes Wort verschlang, das in ihnen geschrieben stand. Die Auswahl,
die sich mir hier bot, war eine weit größere, als Hansen sie mit hatte bieten
können – oder wollen –, und innerhalb eines Tages sammelte ich mehr Wissen über
meine Herkunft und Möglichkeiten an, als ich es in der Obhut des Arztes über
Wochen getan hatte. Mehr denn je spürte ich, dass meine Entscheidung, Kiro und
Hansen hinter mir zu lassen, richtig gewesen war.
Es
dämmerte bereits, als Andreas zurückkehrte. Als er mich in meine Lektüre
versunken vorfand, wirkte er zufrieden, und er nickte mir schweigend zu, um mir
zu bedeuten, dass es an der Zeit war, zu gehen. Auch ich wagte es nicht, das
Wort an ihn zu richten, sondern folgte ihm gehorsam – längst hatte ich
begriffen, dass Andreas keinen Wert auf überflüssige Reden legte.
Im
verblassenden Licht der Dämmerung kehrten wir zurück zum Glockenturm, wo Andreas
sich wie in der Nacht davor in der Klangarkade niederließ und die Straßen zu
seinen Füßen beobachtete.
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