Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
erfüllte mich mit
Bitterkeit und Selbstzweifel, vor allem aber mit Zorn – Zorn auf mich selbst
und meine ungenügende Leistung, der mich zu noch größerer Anstrengung anspornte.
Auch
physisch stählte er mich, ließ mich innerhalb des Turms und später sogar an dessen
Fassade klettern. Noch nie waren meine Gliedmaßen so kräftig, mein Bauch so
flach gewesen. Dass ich mich ohne jegliche Sicherung in schwindelerregenden
Höhen befand, spornte mich zusätzlich an, mich selbst bis zum Äußersten zu treiben,
denn Andreas akzeptierte kein Nein. Bislang hatte ich nie den Halt verloren,
aber ich wusste, dass er keinen Finger rühren würde, um mich aufzufangen, wenn
es eines Tages geschehen sollte.
Und
ich billigte das.
Dann
kam der Tag, an dem die Bibliothek kein neues Wissen mehr für mich bereithielt.
Als ich das letzte Buch ins Regel zurückstellte, spürte ich, dass diese wenigen
Tage in Andreas´ Obhut mich zu einem neuen Menschen geformt hatten. Als Andreas
in den Abendstunden kam, saß ich reglos an das Regal gelehnt und erwartete ihn.
»Bin
ich nun bereit, um die Welt zu retten?«, empfing ich ihn.
Ein
seltsames Lächeln breitete sich auf Andreas´ Lippen aus. »Noch nicht. Du musst
noch eine letzte Aufgabe erfüllen. Aber davor«, er streckte mir eine Hand
entgegen, die ich ergriff, um mich von ihm hochziehen zu lassen, »wird es Zeit,
dass du mein wahres Reich kennenlernst.«
Sein »wahres
Reich«, wie Andreas es nannte, befand sich an der Stadtgrenze, nicht weit von
der MONDSCHEINGASSE entfernt. Im Garten einer der alten Villen, die sich von
den übrigen, die wir in den vergangenen Tagen passiert hatten, in keiner Weise
unterschieden, abgesehen vielleicht dadurch, dass sie um einiges größer war und
ihr Schindeldach die Farbe von geronnenem Blut hatte, befand sich ein unter
Gras und Laub verborgener Zugang zu einem unterirdischen Gewölbe. Nachdem
Andreas die Tür mit wenigen Handgriffen und einigen magischen Worten entriegelt
hatte, wich er zur Seite, um mir den Vortritt zu lassen. Ohne zu zögern, stieg
ich in die undurchdringliche Dunkelheit hinab, mich nur auf meinen Tast- und
meinen Gehörsinn verlassend.
Meine
Füße schleiften über unregelmäßig behauene Felsstufen, die in steilem Winkel
nach unten führten. Behutsam tastete ich mich an der Wand entlang, stieg
beharrlich in die Tiefe. Die ganze Zeit über spürte ich Andreas´ Anwesenheit
dicht hinter mir. Als ich hörte, wie über meinem Kopf die Tür mit einem satten
Laut wieder ins Schloss fiel – die Scharniere quietschten nicht, woraus ich
schloss, dass dieser Zugang häufig benutzt wurde –, entflammte um mich herum
eine Reihe von Lichtern, die den dunklen Gang auf einen Schlag erhellten.
Hinter
mir gab Andreas einen einzelnen, zufrieden klingenden Laut von sich. Er schien
angenehm überrascht, dass ich den Trick mit den Fackeln bereits ebenso gut
beherrschte wie er selbst.
Aus
den Augenwinkeln sah ich mich in meiner Umgebung um, musste mir allerdings
eingestehen, dass es nicht allzu viel zu entdecken gab. Wir befanden uns in
einem gemauerten, schlauchförmigen Gang, der schräg nach unten abfiel. Die
Wände waren, abgesehen von ein paar wenigen im Mauerwerk befestigten Fackeln,
kahl. Ich verstand, dass nicht der Gang selbst das Interessante war, sondern
das, was an dessen Ende lag.
Nachdem
wir einige Minuten gegangen waren, bemerkte ich eine sanfte, aber spürbare
Steigung. Offensichtlich bewegten wir uns nun wieder in Richtung Oberfläche.
Der Gedanke erleichterte mich; es war kein besonders behagliches Gefühl,
mehrere Tonnen Erdreich über dem eigenen Kopf zu wissen. Auch die Qualität des
Sauerstoffs machte mir hier unten zu schaffen. Obwohl dieser Durchgang wohl
häufiger benutzt wurde, schmeckte die Luft schal und abgestanden, und sie zu
atmen verursachte mir ein klammes Gefühl in der Brust.
Endlich
erblickte ich eine weitere Treppe, die der, auf welcher wir hinabgestiegen
waren, aufs Haar glich, mit dem einzigen Unterschied, dass sie sich steil in
die Höhe wand anstatt in die Tiefe.
Andreas,
der sich die ganze Zeit über hinter mir befunden hatte, schob sich nun an mir
vorbei, stieg die Treppe nach oben und wiederholte jene Handgriffe und Worte,
mit denen er bereits die erste Tür geöffnet hatte. Wie von Geisterhand bewegt,
schwang das schwere, hölzerne Blatt nach außen und landete mit einem gemäßigten
Krachen auf dem Boden des über uns liegenden Raumes. Staub rieselte von der
Decke und erzeugte einen
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