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Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Titel: Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Vogltanz
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Still fragte ich mich, was er da unten wohl sehen
mochte, das mir verborgen blieb.
    Da
mich das heute in Erfahrung Gebrachte zu sehr aufwühlte, als dass ich mich
bereits hätte zur Ruhe legen können, ging ich unruhig auf und ab. Schließlich erklomm
ich sogar die hölzernen Balken des Glockenstuhls, bis das bronzene Kunstwerk
direkt vor meinem Gesicht hing und ich es näher betrachten konnte.
    »Vivos
voco. Mortius plango. Fulgura frango«, entzifferte ich die kaum noch lesbare
Gravur. Ich runzelte die Stirn, grub in meinem Kopf nach der Bedeutung dieser
Worte.
    »Die
Lebenden ruf´ ich«, erklang eine wispernde Stimme direkt an meinem Ohr. »Die
Toten beklag ich. Die Blitze brech´ ich.«
    Ich
fuhr so erschrocken herum, dass ich beinahe von dem Gebälk herabgestürzt wäre.
Hinter mir war wie aus dem Boden gewachsen Andreas erschienen, der mir über die
Schulter blickte. Er war so nahe, dass ich seine Körperwärme spüren konnte,
berührte mich aber nicht.
    »Zu
einer Zeit, als die Menschen noch auf solch donnernde Signale angewiesen waren,
diente die Glocke dazu, das Volk zusammenzurufen, den Tod eines
Gemeindemitglieds zu verkünden oder vor einem Sturm zu warnen. Sie erklang sehr
häufig, damals …«
    Andreas
verstummte, sein Blick glitt an der fahl glänzenden Oberfläche der Glocke ab.
    Ich
begriff augenblicklich, von welchem »damals« der Magier sprach. Mit neu
erwachter Ehrfurcht betrachtete ich jenes historische Kunstwerk, das beinahe so
groß war wie ein ausgewachsener Mann vom Scheitel zur Sohle. Ich versuchte, mir
den Klang vorzustellen, den sie in Schwingung erzeugen mochte, das donnernde
Signal , wie Andreas es bezeichnet hatte. War der Ton in der gesamten Stadt
zu hören gewesen? Hatte er ein beklemmendes Gefühl in den Bewohnern wachgerufen,
Angst, Trauer oder einfach nur Neugierde?
    »Erzählen
Sie mir von damals. Bitte«, fügte ich hinzu, als ich sah, dass Andreas
abweisend den Kopf senkte.
    Durch
Andreas´ Körper lief ein leichter Schauer, und er streckte die Hand aus, um die
Oberfläche der Glocke zu berühren. Seine Finger folgten der Gravur, VIVOS VOCO,
MORTIVS PLANGO, FVLGVRA FRANGO, als wollte er sich jeden Buchstaben genaustens
einprägen.
    Oder
eine Erinnerung heraufbeschwören.
    »Der
Turm wurde vor über dreihundert Jahren erbaut, zu einer Zeit, als die
MONDSCHEINGASSE und die umliegenden Distrikte noch eine selbstständige Dorfgemeinde
bildeten«, begann er. »Damals war der Glockenturm ein abgespaltenes Organ einer
kleinen Kapelle, die man einige hundert Meter versetzt vom Turm errichtet
hatte, um zu verhindern, dass das Gebäude durch die Schwingungen der Glocke
Gefahr geriet, einzustürzen.« Er lachte bitter. »Ironischweise hat der Turm die
Kapelle um Jahrzehnte überdauert. Im 2. Weltkrieg wurde sie durch einen
Bombeneinschlag beinahe vollständig zerstört. Das Wenige, was das Geschoss von
dem Gemäuer übrig gelassen hatte, geriet in Brand, und da kein Wasser zum
Löschen vorhanden war, brannte es bis auf die Grundmauern nieder. Nach dem
Krieg hatte man andere Sorgen, als die Kapelle wieder aufzubauen. Der Glockenturm
war unversehrt geblieben und tat noch einige Jahre seinen Dienst. Anstatt
jedoch zur Messe zu rufen, mahnte er in den Neunzigerjahren abends zur Ausgangssperre.«
    Ich
runzelte die Stirn, wagte jedoch nicht, Andreas zu unterbrechen. Es kam einem
Wunder gleich, dass er überhaupt über die Vergangenheit sprach.
    »Damals
trieb die Polizei unseresgleichen zusammen wie Vieh«, fuhr Andreas fort, und
Zorn leuchtete in seinen eisfarbenen Augen auf. »Wer nachts auf den Straßen
erwischt wurde, wurde unter Arrest gestellt. Ohne Verdachtsmoment, ohne
Prozess.«
    »Aber
warum hassten die Menschen uns so sehr?«, ergriff ich nun doch das Wort.
    Andreas
lächelte bitter. »Weil sie verdammte Feiglinge sind. Sie bekamen Wind von
unserer Organisation, fühlten sich bedroht. Vielleicht glaubten sie anfangs
nicht einmal daran, dass wir Kräfte besaßen, von denen diese Wichte nur träumen
konnten, vielleicht beunruhigte sie einfach die Tatsache, dass eine Gruppe von
Menschen sich nachts mit Dingen beschäftigte, von denen der Staat nichts wissen
durfte. Später allerdings sahen sie mehr als einen Beweis für unsere Fähigkeiten,
das kann ich dir versichern. Viele von uns waren zu schwach oder zu ängstlich,
um sich zur Wehr zu setzen, andere jedoch erhoben das Schwert, schlugen zurück.
Es tat so wohl, diese Bastarde bluten zu sehen.«
    Unvermittelt
lief ein heftiger

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