Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
saß, den Kopf mit dem
beinahe weißen Haar an die feuchte Mauer gelehnt. Im Schlaf wirkten seine
Gesichtszüge wie gemeißelt, und ich hatte den Eindruck, als könnte er einem
Krokodil gleich selbst in diesem Zustand jederzeit seinen Schlund aufreißen und
unliebsame Opfer zerreißen. Jede Faser seines Körpers strahlte unbändige Kraft
aus.
Ein
Schauder packte mich, und unvermittelt ging mein Atem schneller. In diesem
Moment war ich mir absolut sicher, dass ich bis zum Morgengrauen kein Auge zu
tun würde.
Und
so war es dann auch.
Als die ersten
Sonnenstrahlen über mein Gesicht tasteten, saß ich noch immer in unveränderter
Haltung in der Klangarkade, neben mir den mächtigsten Magier seiner Zeit. Jeder
Knochen in meinem Leib schmerzte, und ich fühlte mich wie gerädert von der
Kälte und Feuchtigkeit, der ich nachts ausgesetzt gewesen war. Die Frage ging
mir durch den Kopf, warum Andreas die Trockenheit dieses Ortes gepriesen hatte,
um dann erst an dessen feuchtester Stelle zu nächtigen. Nachdem ich diesen
Gedanken einige Male erfolglos gewälzt hatte, kam ich zu dem Schluss, dass es
mir nicht zustand, die Entscheidungen dieses Mannes anzuzweifeln. Es erschien
mir absolut undenkbar, dass ein solcher Mensch irgendetwas ohne Hintergedanken
tat.
Während
der gesamten Nacht hatte der Magier sich kein einziges Mal bewegt, und ich war
wiederholt versucht gewesen, ihn zu berühren, um mich zu versichern, dass er
nicht bereits zu Stein oder, wie die Glocke hinter uns, zu Bronze erstarrt war.
Nun
schlug er so unvermittelt die Augen auf, dass ich vor Schreck beinahe von der
Arkade gefallen wäre. Er war augenblicklich wach, und ein leichter Stich von
Neid durchzuckte mich, als ich sah, mit welch fließenden Bewegungen er sich von
seinem Platz erhob, als hätte das Verharren in sitzender Position bei dieser
Witterung keinerlei Einfluss auf ihn.
Ich
selbst dagegen konnte mir ein Ächzen nicht verkneifen, als ich meinen Rücken
durchstreckte und meine Beine entfaltete, in denen beinahe kein Gefühl mehr
war. Als ich den Kopf hob, war mir, als würde jemand einen glühenden Draht
durch meinen Nacken stoßen, und schwarze Punkte tanzten träge über meine Netzhäute.
»Es
ist nur vorübergehend«, klärte Andreas mich auf, als hätte er meine Gedanken
gelesen. Selbst für jemanden, der über keine magischen Fähigkeiten verfügte,
wäre dies im Augenblick wohl kaum eine Schwierigkeit gewesen – meine Gefühle
mussten mir wie mit Neonbuchstaben auf die Stirn geschrieben sein.
»Bald
suchen wir uns etwas Gastlicheres.«
Ich
zwang mich dazu, eine neutrale Miene zu machen, als ich mich mit steifen
Schritten auf Andreas zubewegte.
»Als
Sie mich gestern ansprachen«, begann ich zögernd, »erwähnten Sie, dass es eine
Möglichkeit gibt, die …«, ich räusperte mich, da dieses schwerwiegende Wort mir
ein wenig lächerlich erschien, »… drohende Apokalypse zu verhindern.«
»Du
willst die Welt retten, und das noch vor dem Frühstück?« Seine Augenbraue
wanderte ein Stück nach oben, als er dies sagte, aber er lächelte nicht.
Unbehaglich
senkte ich den Blick, trat von einem Fuß auf den anderen. Machte er sich etwa
über mich lustig?
»Nun
ja …«
»Laura«,
unterbrach er mich bestimmt, »du wirst alles erfahren, was du wissen musst,
sobald die Zeit reif ist. Bevor ich dir allerdings dieses Wissen anvertraue,
ist es unabdingbar, dass du deine Kräfte weiter schulst. Obgleich sich deine
Fähigkeiten von Natur aus auf einem hohen Niveau befinden, musst du dir dessen
bewusst werden, dass der Weg nach oben unbegrenzt ist. Und die Stufe, die du
hinter dir gelassen haben solltest, ehe du dich jener schwerwiegenden Aufgabe
widmest, liegt noch weit über dir. Wenn du dich allerdings nicht dazu in der
Lage siehst, die nötige Disziplin für ein solches Unterfangen aufzubringen …«
Hastig
schüttelte ich den Kopf. »Ich würde nichts lieber tun!«, rief ich aus. »Ich
will alles wissen, alles erreichen! Jede Barriere niederreißen!«
Andreas
lächelte dünn. »Das werden wir sehen, nicht wahr?«
Ohne
diese rätselhafte Bemerkung weiter zu erläutern, führte er mich zurück in die
weite Torhalle des Turms. Wir verließen das Gemäuer und bewegten uns durch
jenen wie ausgestorben daliegenden Teil der Stadt, der wie der Glockenturm ein
hohes Alter aufwies und ebenso unberührt von jeglichem Leben war. Ich selbst
war noch nie in diesem Viertel gewesen, hatte nicht einmal gewusst, dass es überhaupt
existierte. In
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