Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Funkenflug, als er in die Flammen der Fackeln geriet. Nachdem
Andreas den Weg auf diese Weise freigemacht hatte, kletterte er durch den
Durchgang nach oben. Dort angekommen beugte er sich noch einmal durch die Öffnung
der Falltüre und hielt mir eine helfende Hand entgegen. Als ich mich auf der
obersten Stufe befand, griff ich dankbar danach und ließ mich von dem Magier
nach oben ziehen.
Ich
riss erstaunt die Augen auf, als ich mich unvermittelt in einer völlig unerwarteten
Umgebung wiederfand. Um mich herum erhob sich die ehrwürdige Pracht eines
verflossenen Königreiches. Ich befand mich in einer weitläufigen Halle, die von
zahlreichen Fackeln und Kerzen erleuchtet war. An den Wänden waren helle
Flecken an jenen Stellen, wo für Jahrhunderte lebensgroße Gemälde oder fein
gewebte Wandteppiche gehangen waren, und obwohl das einstmals teure Parkett
unter unseren Füßen nun stumpf und zerkratzt war, hatte ich keinen Zweifel
daran, dass er früher glänzend und glatt gewesen war. Über unseren Köpfen hing
ein blinder Kronleuchter aus Kristall; es befanden sich keine Kerzen darin, und
einige der Steine fehlten, vielleicht wurde er sogar nur mehr von wenigen Gliedern
der Kette an der Decke gehalten. Für mich aber gab es keinen Zweifel an seiner
Pracht und Schönheit.
»Wo
sind wir?«, flüsterte ich.
Ich
wagte es nicht, meine Stimme zu erheben, aus Angst, die ehrfürchtige Ruhe
dieses Ortes zu zerstören.
»Hier
lebe ich«, sagte Andreas. »Es handelt sich um den ehemaligen Sommersitz eines vor
langer Zeit ausgerotteten Adelsgeschlechts, eine alte Familie namens
Weinsteiner. Der Hof und die dazugehörigen Gebäude sind seit dem Tod des
letzten Erben, Hermann von Weinsteiner, versperrt, denn der alte, verbitterte
Mann ordnete in seinem Testament an, dass nach seinem Ableben nichts in diesen
Gemäuern verändert werden dürfte. Das änderte natürlich nichts daran, dass
gierige Menschen das meiste forttrugen, das von Wert war. Nur die
Räumlichkeiten selbst und einige unbedeutende Kleinigkeiten, die der Mühe, sie
zu entfernen, nicht wert waren, sind zurückgeblieben. Nachdem sich hier
zahlreiche Diebstähle ereignet hatten, wurden die Eingänge zugemauert, die
Fenster verbarrikadiert. Ehe ich kam, war dies hier ein toter Ort. Dass es
einen geheimen Gang gibt, der bei der Errichtung dieses Herrschaftshauses angelegt
wurde und im Falle einer Belagerung als Fluchtweg dienen sollte, wurde nie
bekannt; ebenso wenig, dass man durch diesen Gang nicht nur hinaus, sondern
auch hinein kommt.«
Zufrieden
ließ Andreas den Blick über seine Errungenschaft schweifen; auch er schien die längst
vergangene Pracht dieses Gebäudes noch immer deutlich vor Augen zu sehen,
obwohl nur noch Staub, Schmutz und Verfall geblieben waren.
»Ich
und meinesgleichen nutzen die Hallen und Säle für unsere Versammlungen oder als
Unterkunft, wenn es nötig wird, unterzutauchen.«
»Wie
kommt es, dass bislang niemand bemerkt hat, dass Sie sich hier aufhalten?«,
fragte ich.
Andreas
runzelte die Stirn und sah tadelnd auf mich herab. »Es enttäuscht mich, dass du
nicht selbst dahinter gekommen bist, Mädchen. Ein einfacher Schutzzauber
genügt, um die Aufmerksamkeit des Pöbels wie der Behörden gleichermaßen abzulenken.
Ein Beamter, der vor den Toren des Anwesens einen Kontrollgang unternimmt,
sieht kein Licht durch die Ritzen der Bretter sickern, mit denen die Fenster
vor einigen Jahren verschlossen wurden. Er sieht nur, was ich ihn sehen lassen
will.«
»Und
dafür müssen Sie nicht einmal anwesend sein?«, fragte ich beeindruckt.
Andreas
lachte bloß.
Insgeheim
musste ich mir selbst eingestehen, dass ich immer noch nicht vollkommen
ausgelernt hatte. Dass wir Magier zu solchen Täuschungen in der Lage waren,
hatte ich nicht geahnt. Unseren Kräften schienen tatsächlich keine Grenzen
gesetzt.
Wir
schlenderten durch das riesige Herrschaftshaus, dabei begegneten wir wiederholt
geduckten, in schwarze Kutten gehüllten Gestalten, die sich rasch und mit
gesenkten Köpfen an uns vorbei bewegten. Ich rang um Selbstbeherrschung, wollte
nicht zu auffällig hinstarren, aber es gelang mir nur zum Teil.
Nachdem
wir einen von zahlreichen langen, von Kerzenlicht erleuchteten Gängen
durchquert hatten, hielt Andreas vor einer unauffälligen Tür inne.
»Dies
hier ist dein Zimmer«, erklärte er. »Du hast lange genug in Nässe und Kälte
genächtigt. Es wird Zeit, dir etwas Besseres zu bieten, nun, da du zu uns gehörst.«
Ich
schauderte
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