Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
war Er .« Er hustete trocken in die hohle
Hand. »Wir sollten zusehen, dass wir etwas zum Anziehen auftreiben. Meist
verstecke ich schon vor meinen Aufträgen vorausschauend Kleidung, damit ich
nach meiner Rückverwandlung in einen Menschen nicht völlig bloß dastehe, aber
manchmal kann man einfach unmöglich ahnen, wo man landen wird, und dann muss
man sehen, wo man bleibt. So können wir auf jeden Fall nicht weitergehen, wir
holen uns noch eine Lungenentzündung. Und Er wäre sicher nicht erfreut,
wenn ich Ihm sein wertvolles Mädchen als zitterndes, niesendes Häufchen
Elend zurückbringe.«
Ich grinste
humorlos. »Ich glaube, eine Erkältung ist im Augenblick unser geringstes Problem.«
»Täusche dich
da mal nicht«, gab Mike ernst zurück. »Große Schlachten wurden schon aus
geringeren Gründen verloren.«
»Ist es das,
was Er sagt?«
Mike schnaubte.
»Nein. Das sage ich. Ich allein.«
Ich rümpfte
zweifelnd die Nase, schwieg jedoch, da ich Mike nicht vor den Kopf stoßen
wollte. Irgendwie spürte ich eine seltsame Verbundenheit mit diesem jungen
Mann, der vor nicht allzu langer Zeit noch mein selbst erklärter Todfeind
gewesen war, ein Symbol für alles, was in meinem Leben schiefgelaufen war und
mich bis hierher gebracht hatte. Auch er hatte sein altes Leben hinter sich
gelassen, um sich dem höheren Zweck zu verschreiben, und damit stand er mir
näher, als Kiro oder Hansen es jemals könnten.
»Da.« Mike deutete
mit dem Kinn in eine Sackgasse, in der die Straßenbeleuchtung ausgefallen war.
Meine geistigen
Fühler tasteten sich vorwärts, erspürten die Gewalt, die hier erst kürzlich
stattgefunden und ein weiteres tiefes Loch in die Realität gerissen hatte.
»Dort ist
kürzlich jemand gestorben«, warnte ich Mike.
»Ausgezeichnet.«
Ohne weiter zu zögern, hielt Mike auf die Sackgasse zu.
Ich ersparte
mir eine entsprechende Frage, die ohnehin unbeantwortet geblieben wäre, und
folgte dem Schwarzhaarigen. Mein Herz verkrampfte sich unvermittelt, als ich
die zwei reglosen, unnatürlich verkrümmten Menschenleiber gewahrte, die
zwischen Mülleimern zusammengesunken waren und nun dort im Schmutz lagen wie Abfall.
Alle beide, ein Mann und eine Frau, mussten etwa in unserem Alter gewesen sein,
als sie starben. Aus der Wunde, die ein handlanges Messer in die Brust der
jungen Frau gerissen hatte, lief noch immer warmes Blut, das nur widerwillig zu
stocken beginnen wollte.
Mike deutete
auf die Tote. »Deine Größe?«
»Wie bitte?«
Ich starrte ihn verständnislos an.
»Sie hat deine
Größe, oder?« Mike verdrehte sichtlich genervt die Augen. »Du scheinst das noch
nicht oft gemacht zu haben.« Er schritt auf die Tote zu und entledigte sie mit
einigen raschen, geübten Griffen ihrer Kleidung. Anschließend warf er mir das
Bündel zu. Instinktiv fing ich es aus der Luft.
Endlich begriff
ich. »Nein, im Geschäft der Leichenfledderei bin ich ein Neuling«, giftete ich,
zog mir aber gehorsam die von Regen und Blut durchtränkten Kleider über.
Mike hatte sich
mittlerweile zu dem männlichen Toten hinabgebeugt und musterte ihn abschätzend.
»Das könnte etwas weit um die Hüften sein, aber für den Augenblick wird´s schon
reichen.« Er entblößte auch diese Leiche und schlüpfte in Windeseile in Hose
und Hemd. Probeweise drehte und wendete er sich, als stünde er kurz vor einer
schwerwiegenden Kaufentscheidung.
»Wie seh´ ich
aus?«
»Wie ein
Mörder«, murmelte ich, während ich die blutigen Spritzer auf seinen Hemdsärmeln
taxierte.
»Und du bist
mein Opfer.« Sein Finger drückte gegen den ausgefransten Blutfleck auf meinem
Shirt, der die Stelle bezeichnete, an der das Messer den Stoff durchdrungen
hatte. »Damit geben wir doch ein ganz entzückendes Paar ab. Lass uns endlich
weitergehen, mir ist immer noch nicht viel wärmer. Diese Idioten hätten sich
ruhig unter einem wasserabweisenden Unterstand abschlachten können.«
Ich antwortete
nicht, folgte Mike aber artig aus der Seitengasse hinaus. Bevor wir den
Schauplatz des Verbrechens vollends hinter uns gelassen hatten, warf ich noch
einen letzten Blick zurück über die Schulter, zu den beiden nackten Leichen,
denen man nun nicht nur das Leben, sondern auch noch die Würde genommen hatte.
In diesen Zeiten schien kein Platz für ein ehrenhaftes Ende zu sein.
Andreas´ Aufzeichnungen
»Ich atmete ein, aber nichts als
Blut füllte meine Lungen. Der Tod packte mich an der Schulter und schüttelte
mich, forderte mich auf, zu
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