Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Kommando hin bildete die
Menge einen großen, gleichmäßigen Kreis, und die letzten geflüsterten
Unterhaltungen verstummten. Rasch schloss Taoyama sich dem Beispiel der anderen
an, ließ Marias Hand dabei jedoch keine Sekunde lang los.
Ein
Mann mit schwarzem, von einer einzelnen grauen Strähne durchsetzten Haar, das
ihn älter wirken ließ, als er vermutlich war, trat vor und nahm in der Mitte
des Kreises Aufstellung. Wie alle Anwesenden trug auch er einfache, dunkle
Kleidung, und auch sonst unterschied er sich kaum von den übrigen
Zirkelmitgliedern.
Für
einen Moment herrschte absolute Stille. Der Blick des Redners wanderte stumm
über die ungleichen Gestalten, die sich in Ermangelung eines anderen
Bezugsobjektes um ihn scharrten. Scheinbar suchte er nach einem bekannten
Gesicht. Zu welchem Ergebnis er gelangte, vermochte Taoyama nicht zu sagen,
denn die Züge des Mannes blieben ohne jeden Ausdruck.
»Brüder
und Schwestern«, begann er schließlich. »Ich bin erleichtert, zu sehen, dass so
viele von euch nach so langer Zeit doch den Weg zurückgefunden haben, um an
dieser wichtigen Zusammenkunft teilzunehmen. Es ist mir ganz unbegreiflich,
dass nun bereits achtzehn Jahre ins Land gezogen sein sollen – eine halbe
Ewigkeit, wie mir scheint.« Sein Blick glitt über die bleichen Steinhaufen, die
den Betrachter so intensiv an Gebeine denken ließ, und Bitterkeit verzerrte
seine Züge. »Vor achtzehn Jahren sind unser letzter Bruder, unsere letzte
Schwester gefallen. Achtzehn Jahre haben wir uns im Verborgenen gehalten und
gewartet, haben gehofft. Und tatsächlich, der Schrecken schien vorbei, wir
durften vergessen, was einst unsere Herzen bluten ließ, haben unser altes Leben
wieder aufgenommen. Wir waren bereit, einen Trauerflor über das Geschehene
auszubreiten und voranzuschreiten. Aber das Schicksal meint es nicht gut mit
uns, Brüder und Schwestern. Achtzehn Jahre dauerte unser Frieden an – heute
endet er.«
Taoyamas
Hand schloss sich fester um die Marias. In den Gesichtern der Versammelten, die
nur noch schwach von den Strahlen der sterbenden Sonne erleuchtet wurden, spiegelte
sich Entsetzen wider.
»Ist
es also wahr, was man sich erzählt?«, flüsterte ein untersetzter Mann mit traurigen
Hundeaugen gegenüber von Taoyama. »Stimmen die Berichte? Ist Er wieder
da?« Den letzten Satz hatte er kaum mehr gehaucht.
Der
Mann mit der grauen Strähne im Haar nickte langsam. »Ich fürchte, so ist es. Seine Rückkehr lässt sich nicht länger verleugnen.« Er schien noch weitersprechen zu
wollen, doch seine Worte hatten einen Tumult unter den Anwesenden ausgelöst.
»Das
ist nicht möglich!«, quietschte eine weibliche Stimme, und »Er soll nur kommen,
dieser Bastard!«, schnaubte eine männliche. Die meisten jedoch drückten ihr
Erstaunen und ihren Schrecken lediglich durch ein heftiges Aufstöhnen aus.
»Bitte,
Freunde! Bewahrt Ruhe!«, erhob der Redner erneut die Stimme.
»Ruhe?«,
versicherte sich der Mann mit den Hundeaugen. »Wie sollen wir denn Ruhe bewahren?
Wenn das wahr ist und nicht bloß ein böser Scherz von Ihnen, dann sind wir alle
verloren!«
»Niemand
ist verloren«, ergriff Maria plötzlich das Wort. »Zugegeben, Er ist
unendlich mächtig und gefährlich, aber wäre Er unbesiegbar, wären wir
wohl nicht mehr in der Lage, dieses Gespräch zu führen, nicht wahr? Was soll
uns davon abhalten, uns mit aller Kraft der nahenden Gefahr entgegenzustellen?«
Entschlossen stemmte Maria die Hände in die Hüften.
»Sie
wissen nichts über Ihn , nicht wahr?«, fragte eine ältere Dame in leisem,
fast scheuen Tonfall. Sie war etwa halb so groß wie Taoyama und ebenso schmal,
und Falten waren wie mit Hammer und Meißel in ihr Gesicht gegraben. Ihre
wässrigen Augen huschten über die Reihen der Umstehenden, und es schien, als
versuchte sie, dem Blick Marias auszuweichen. »Das können Sie nicht, sonst
würden Sie diesen Vorschlag gar nicht erst machen. Er ist nicht einfach
nur ein mächtiger Magier, der vom rechten Weg abgekommen ist. Nein, mein Kind, Er ist weit mehr als das. Wenn Er jemals ein Herz hatte, dann haben Hass
und Wut es so schwarz gefärbt, dass es wie ein alles verschlingendes Loch in Seiner Brust klafft, jedes menschliche Gefühl in sich aufsaugend. Er ist nicht
wie wir – und nichts, das man bekämpfen könnte. Wer es dennoch versucht, wird
unweigerlich durch Seine allmächtige Hand zermalmt werden. Weder
flehende Worte noch Schönheit noch Jugend können Ihn davon abbringen,
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