Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
viele waren, aber das hier …« Sie schluckte ihre
Tränen hinunter und riss sich sichtbar zusammen. »Ich frage mich, was wir hier
sollen.«
Das
tat Taoyama auch. Wie jene Gestalten in der Ferne waren Taoyama und Maria vor
einigen Wochen telepathisch kontaktiert worden. Obgleich sie durch ihre Familien
– Taoyama durch seine Eltern, Maria durch ihre Großmutter – von der Existenz
magischer Kräfte wussten, war es doch ein Schock für sie, deren Auswirkungen am
eigenen Leibe zu spüren, denn keiner von ihnen hatte jemals versucht, das
schlummernde Erbe in ihnen zu erproben; ihre Familien hatten das zu verhindern
gewusst. Der Schreck der Vergangenheit saß ihnen noch immer tief in den
Gliedern, und obwohl das nicht einmal die halbe Wahrheit war, machten sie wohl
ihre Andersartigkeit für die damaligen Vorkommnisse verantwortlich. Um ihre Kinder
und Kindeskinder vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren, hatten sie alles
Menschenmögliche unternommen, doch wie es schien, sollte das nicht reichen.
Manche Wege waren einfach vorgezeichnet, von ihnen abzuweichen käme einem
Abweichen von der Natur selbst gleich.
Zu
diesem Schluss kam Taoyama, als ihn jene körperlose Stimme, die eines Nachts in
ihnen erwacht war, zu sich rief, zurück in jene Stadt, in der einst vor fast
zwanzig Jahren alles begonnen – und sein unrühmliches Ende gefunden hatte.
Eine
schier unbezähmbare Neugier war in Taoyama erwacht, und er hatte keine andere
Möglichkeit gesehen, als seine sieben Sachen zu packen und sich in den nächsten
Flieger zu setzen. Sein Vater hatte ihn eindringlich vor diesem Schritt
gewarnt, hatte ihm mit Schauergeschichten Angst einzujagen versucht, ihm sogar
gedroht, ihn zu enterben, aber Taoyama war taub für seine Warnungen geblieben. Es
war kein angenehmes Gefühl, nicht auf seinen Vater zu hören, doch in diesem
Fall, das wusste Taoyama, konnte er nicht gehorsam sein – die Macht, die ihn zu
sich zog, war stärker als sein Wunsch, ein guter Sohn zu sein.
Am
Flughafen in Deutschland war Taoyama zum ersten Mal auf Maria getroffen und hatte
sie sofort als eine der ihren erkannt. Obgleich das für gewöhnlich absolut
nicht seine Art war, behielt er sie im Auge, buchte im selben Hotel wie sie und
folgte ihr auf Schritt und Tritt. Er wartete auf eine passende Gelegenheit, die
schöne Frau mit den südländischen Gesichtszügen anzusprechen, doch dafür
reichte seine Forschheit dann doch nicht aus, und so begnügte er sich damit,
sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Jede andere Frau hätte sich durch ein solches
Verhalten belästigt, ja, sogar bedroht gefühlt, aber Maria war alles andere als
gewöhnlich. Ebenso wie Taoyama spürte sie, dass dieser seltsame Japaner, der
ihr so hartnäckig an den Fersen klebte, eine Macht in sich trug, die der ihren
glich. So lauerte sie ihm eines Abends in der Hotellobby auf und konfrontierte ihn
mit der ihr charakteristischen offenen Art, was in einem stundenlangen Gespräch
ausuferte.
Nachdem
dieser erste Schritt getan war, fassten sie sehr rasch Vertrauen zueinander,
und mittlerweile fühlte es sich zumindest für Taoyama so an, als würde er die
feurige Mexikanerin bereits seit einer schieren Ewigkeit kennen. Längst war es
nicht mehr einzig ihr magisches Erbe, das sie untrennbar aneinander band.
Zuneigung zueinander war zwischen ihnen wie eine zarte Blume emporgewachsen,
und obwohl ihre Bekanntschaft erst einige Tage dauerte, hätte Taoyama die
junge, leidenschaftliche Frau nicht mehr missen wollen.
»Du
bist auf einmal so still«, bemerkte Maria, während sie ihr tiefschwarzes Haar
aus der Stirn strich.
»Ich
war nur in Gedanken. Komm, wir sollten uns diesen Leuten da vorne anschließen.«
Ohne
auf Marias Reaktion zu warten, schob Taoyama sie vorwärts, auf die dunklen
Gestalten zu, die nur flüchtig aufsahen, als sich die beiden näherten. Mit
einem raschen Rundumblick hatte Taoyama festgestellt, dass in der verstreuten
Gruppe auf dem Hügel alle Ethnien vertreten zu sein schienen. Wie auch Maria
und Taoyama mussten diese Menschen weite Reisen in Kauf genommen haben, um diesen
erinnerungsschwangeren Ort aufzusuchen. Einige von ihnen standen in sich gekehrt
vor einem Grabmal, die Hände gefaltet, die Augen schmerzerfüllt geschlossen.
Manche weinten. Ein bitterer Kloß bildete sich in Taoyamas Hals, als er begriff,
dass er einer der wenigen Glücklichen an diesem Ort war, der hier keine Toten
beweinen musste.
Plötzlich
kam Bewegung in die Versammlung. Wie auf ein stummes
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