Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Glasperlen. Auch seine Haltung war
unnatürlich, wie mir mit einem Mal auffiel – schrecklich verkrampft, als wäre
jeder einzelne Muskel in seinem Leib bis zum Zerreißen angespannt. Dicker
Schweiß stand ihm auf der Stirn, und seine Hände zitterten.
»Du kannst mich
umbringen«, fuhr ich mit schriller werdender Stimme fort. »Meinetwegen tu es.
Aber was nützt dir mein Tod? Es gibt Zeugen, und sie alle werden gegen dich
aussagen. Man wird dir die Polizei auf den Hals hetzen, und dann? Dann wirst du
in deinem Leben niemals wieder froh werden! Warum also solltest du dir selbst
schaden?« Hastig schnappte ich nach Luft, da ich so rasch gesprochen hatte,
dass ich das Atmen vergessen hatte. Ich redete buchstäblich um Kopf und Kragen.
»Wenn du mich jetzt gehen lässt, wirst du noch einmal davonkommen, hörst du?
Nichts wird dir geschehen. Sei vernünftig. Zerstöre nicht dein eigenes Leben,
indem du meines beendest.«
Genauso gut hätte
ich mich an das Messer wenden können, um es um Gnade zu bitten, denn in den
Zügen des Schwarzhaarigen rührte sich nichts. Nur seine Mundwinkel zuckten.
Seine schwere Hand senkte sich auf mein Kleid herab, zog mich daran in die
Höhe.
»Du willst das
nicht tun!«, kreischte ich mit sich überschlagender Stimme. » Stopp! «
Ich spürte den
eiskalten Stahl, der durch den Stoff meines Kleides meine Haut berührte, und
schloss die Augen, auf den Schmerz wartend, der nun alles beenden würde. Doch
er kam nicht.
Langsam öffnete
ich die Augen wieder, nicht begreifend, warum ich noch am Leben war. Der
Schwarzhaarige war einen Schritt von mir zurückgewichen, das Messer lag lose in
seiner halb geöffneten Faust. Seine Unterlippe zitterte heftig, noch heftiger
seine Hände. Es war ein Anblick, der mir beinahe noch mehr Angst einjagte als
die Gewissheit des Todes zuvor.
Plötzlich
bewegten sich seine Lippen, beinahe lautlos, und doch glaubte ich, die Worte zu
verstehen, die aus seinen Lungen hauchten.
»Sei still.«
»Nein«, flüsterte
ich. Ich wusste nicht, was es war, das mich dazu antrieb, weiterzusprechen –
vielleicht die nackte Verzweiflung, vielleicht beginnender Wahnsinn. In jedem
Fall fuhr ich unerbittlich und mit erstaunlich fester Stimme fort: »Du willst
niemanden töten. Da ist etwas in dir, das dich dazu zwingt, aber du bist
stärker. Du kannst es bezwingen, wenn du dich nur mit aller Kraft dagegen
stemmst.«
Die
Lippen zu einem blutleeren Strich zusammengepresst, starrte er mich aus weit
aufgerissenen Augen an. Sein Blick ging geradewegs durch mich hindurch, fing
Dinge ein, die ich mir nicht einmal vorzustellen wagte. Sein Widerstand (doch
wogegen?) zerbröckelte sichtlich, brach in sich zusammen wie ein schlecht
gebautes Kartenhaus, auf das mit einem Vorschlaghammer eingedroschen wird.
Plötzlich
griff der Schwarzhaarige sich mit beiden Händen an den Kopf und stieß einen
ohrenbetäubenden Schrei aus. » Still! Sei endlich still! Ich kann es
nicht! Begreifst du das nicht? Ich kann es einfach nicht!«
Unvermittelt
presste ich mich eng an die Lehne des Stuhls, von dem unerwarteten Ausbruch wie
gelähmt vor Schreck.
»Ich
habe getan, was ich konnte!«, fuhr der Schwarzhaarige fort, sich wie unter
Schmerzen krümmend. »Alles, alles, was von mir verlangt wurde, habe ich getan, aber
das nicht, nein, das nicht!« Langsam ging er in die Knie, das Messer entglitt
seinen Fingern. Ein heftiges Schluchzen schüttelte den eben noch so angsteinflößenden
Mann. »Bitte! Ich … ich will das nicht mehr! Ich halte das nicht länger aus!
Lass mich gehen. Bitte.« Das letzte Wort war nicht sehr viel mehr als ein
tonloses Wispern, das ich mehr erriet denn verstand.
»Beruhige
dich«, brachte ich mit einer Ruhe hervor, die ich überhaupt nicht empfand. »Wir
sind allein, du und ich. Niemand zwingt dich zu etwas, das du nicht willst.«
Der
Schwarzhaarige stieß ein markerschütterndes Heulen und Jammern aus, ballte die
Hände so heftig zu Fäusten, dass Blut zwischen seinen Fingernägeln
hervorsickerte. »Du musst fort von hier!«, ächzte er. Für einen Moment hob er
den Kopf, und was ich in seinen Augen las, ließ mich erschauern. Wo zuvor noch
emotionslose Glaskugeln in den Augenhöhlen geruht hatten, glühten nun Angst und
Verzweiflung.
»Ich
weiß nicht, wie lange ich es noch aufhalten kann. Lauf fort, so schnell du kannst,
oder ich werde dich töten. Ich flehe dich an, lauf!«
So
hastig, dass der Stuhl nach hinten kippte, sprang ich auf und stürzte an
Weitere Kostenlose Bücher