Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
ich
nie getan.«
»Hmpf«,
machte Hansen zweifelnd.
Eloin
hielt sich nicht weiter mit Grußworten auf. Ihre Augen glitten suchend umher,
sie reckte den Hals, um an dem Arzt vorbeiblicken zu können. »Wo ist er? Wo ist
mein Sohn?«
Kiro
lugte vorsichtig hinter Hansen hervor, hinter dem er sich versteckt gehalten
hatte wie ein Vierjähriger, der zum ersten Mal seiner Kindergartenbetreuerin
vorgestellt werden sollte. Er wirkte keineswegs erfreut, seiner leiblichen
Mutter endlich gegenüberzustehen – vielmehr schien er peinlich berührt.
Ein
Strahlen ließ Eloins Gesicht leuchten, als sie ihres Sohnes ansichtig wurde.
Sie presste eine Hand auf den Mund, um den erstaunten Laut zu unterdrücken, der
sich Bahn brechen wollte, und eine einzelne Träne lief an ihrer Wange hinab. »Bei
allen Geistern der Erde, was für ein hübscher junger Mann! Du siehst genauso
aus wie dein Vater. Und deine Aura – wie ein gleißend helles Licht.« Voller
Rührung wandte sie sich wieder Hansen zu, dessen Hand sie mit ihren beiden
umschloss. »Ich bin dir zu tiefem Dank verpflichtet, Johannes. Du scheinst all
die vielen Jahre gut für ihn gesorgt zu haben.«
Hansen
öffnete den Mund, um das richtigzustellen, doch Kiro fuhr ihm rasch ins Wort.
»Ja, das hat er. Sie sind ... du ... du bist also Eloin. Meine Mutter. Mutter .«
Kiros Versuch, die richtige Anrede für Eloin zu finden, erinnerte Hansen an das
Spucken eines verstopften Rohres, das jemand mit Gewalt und Druck
freizubekommen versuchte.
Sie
lächelte verständnisvoll. »Ich verstehe, wenn du mir, einer Wildfremden, nicht
gleich um den Hals fällst und mich mit ›Mutter‹ ansprichst. Ich glaube, das
wäre für uns beide merkwürdig. Eine Beziehung aufzubauen, die diese Anrede
rechtfertigt, braucht Zeit, und die war uns bislang nicht vergönnt. Es tut mir
leid, dass ich so heftig auf deinen Anblick reagiert habe, aber du ... du bist
deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.« Sie seufzte lange und schwer.
»Ja, dein Vater ... Wir wollten dich niemals im Stich lassen, Kiro, das musst
du mir glauben. Aber Andreas und ich, wir hatten keine andere Wahl. Wenn wir es
nicht getan hätten, wären wir alle drei gestorben. Dabei ging es uns doch nur
um dein Leben.« Sie schluckte schwer. »Nur um dein Leben«, wiederholte sie
flüsternd. »Wir wussten, dass unser Plan mit Risiken verbunden war, aber wir
wollten es nicht sehen. Wir dachten, es könnte noch mal alles gut werden. Aber
das ist nun natürlich nicht mehr von Belang, nicht wahr? Was geschehen ist, ist
geschehen. Du musst uns sehr hassen, deinen Vater und mich.«
Kiro
wich Eloins Blick aus. »Das tue ich nicht. Das kann ich nicht. Es ist …
schwierig, einen fremden Menschen zu hassen.«
Diesmal
war der feuchte Schimmer in Eloins Augen unübersehbar. »Wir sind uns die
längste Zeit fremd gewesen, das verspreche ich dir. Wenn das alles hier vorbei
ist, haben wir Gelegenheit genug, uns zu unterhalten. Dann können wir beginnen,
die verlorene Zeit wieder wettzumachen. Wenn es soweit ist, musst du mir alles
erzählen, was sich während meiner Abwesenheit in deinem Leben zugetragen hat,
jedes noch so kleine Detail, und auch ich werde dich nicht im Dunkeln über
meine Vergangenheit lassen. Wir werden wieder eine Familie sein. Und bis dahin
... sind wir wohl gute Freunde, nicht wahr, Kiro?«
Es
war Eloin anzusehen, wie schwer ihr dieses finale Zugeständnis fiel. Obgleich
sie Gegenteiliges behauptete, kannte Hansen sie gut genug, um zu erkennen, wie
gerne sie ihren verlorenen Sohn fest in die Arme geschlossen hätte. Das lag zum
einen an ihrem von Natur aus offenen Charakter, zum andern hatte es mit Kiros
äußerer Erscheinung zu tun. Der Junge war nur wenige Jahre jünger als Andreas
vor seinem Tod und erschien Eloin daher wohl von Anfang an nicht wie ein
Unbekannter.
Ob
Kiro etwas von den kontrastierenden Gefühlen seiner Mutter bemerkte, vermochte
Hansen nicht zu sagen. Der Junge versuchte lediglich, zu lächeln, und
antwortete: »Das ... klingt gut, Eloin.«
Dies
erschien Hansen, der dieses Wiedersehen, das eigentlich keines war, mit
wachsender Ungeduld verfolgt hatte, wie ein Stichwort, und er klatschte
entschlossen in die Hände. »Ich unterbreche euer kleines Familientreffen ja nur
sehr ungern, aber wir sollten lieber zusehen, dass wir schnellstens eine Lösung
für unser kleines Apokalypseproblem finden. Wenn wir erst die Welt gerettet
haben, könnt ihr euch noch immer austauschen.«
Eloin
lachte leise. »Ich
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