Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
und ihm wurde schmerzlich bewusst, dass er in die Enge
getrieben wurde. Vor ihm schnitt das Biest ihm den Fluchtweg ab und zwang ihn
immer weiter zurück, die riesigen Flügel drohend ausgebreitet und den Schnabel
halb aufgerissen, und hinter ihm wartete das Bankett noch auf die Hauptspeise –
ihn. Wenn er nur noch eine Sekunde länger zuwartete, würde die Falle zuschnappen,
und dann wären es seine Eingeweide, die den Asphalt schmücken würden.
Seine
Muskeln spannten sich, er spürte, wie eine heiß glühende Entschlossenheit in
seinen Gedärmen entbrannte.
Gut , dachte er grimmig, dann wohl doch die Helden-Nummer.
Kaum
hatte er den Gedanken zu Ende geführt, hechtete Taoyama entschlossen vorwärts
und setzte mit einem gewaltigen Sprung über die Krähe hinweg, wobei seine Ferse
ihren Kopf streifte und sie zu Boden riss. Der Vogel kreischte vor Schmerz und
Überraschung und schlug hektisch mit den Flügeln auf den Asphalt ein, war aber
so überrumpelt, dass es ihm nicht sofort gelang, wieder hochzukommen. Erst, als
der Abstand zwischen der Krähe und Taoyama bereits gut zehn Meter betrug, gelang
es ihr, sich aufzurappeln. Mit einem zornigen Krächzen schwang sie sich in die
Lüfte und setzte ihrem Opfer augenblicklich nach. Zu Taoyamas großem Glück
schien der Vogel nicht einmal daran zu denken, seine Artgenossen zu Hilfe zu
rufen, und da diese viel zu sehr mit ihrem Knochenjob beschäftigt waren, nahmen
sie in ihrem Blutrausch keine Notiz von dem einzelnen Menschen, der sich mit
fliegenden Schritten von ihnen entfernte.
Da
es sich bei dieser Flucht um einen seiner berühmt-berüchtigten, impulsiven
Entschlüsse gehandelt hatte, hatte Taoyama nicht den geringsten Schimmer, wohin
er eigentlich lief. Als er sich hektisch umsah, musste er feststellen, dass die
Asphaltwüste ringsum kein Versteck bot, das ihn vor dem Vogel hätte schützen können.
Seine einzige Chance war also, ein Tier abzuhängen, das geschätzte drei Kilo
wog, wie ein Pfeil durch die Luft schoss und niemals müde zu werden schien.
Dieser Gedanke ließ die Panik wie ätzende Säure in Taoyamas Hals emporsteigen,
und beinahe ohne sein Zutun beschleunigten sich seine Schritte, bis die Muskeln
seiner Oberschenkel wie Feuer brannten. Der Abstand zwischen dem Vogel und
Taoyama jedoch schmolz weiterhin in rasender Geschwindigkeit auf ein Minimum
zusammen, sodass bald das dröhnende Flattern der Schwingen in seinen Ohren donnerte.
Keine Chance , dachte Taoyama verzweifelt. Kein
Mensch kann so schnell laufen.
Er
behielt recht.
Mit
einem weiten Bogen überholte die Krähe den Flüchtenden ohne sichtbare Mühe,
sodass der Japaner plötzlich auf den Vogel zulief, anstatt ihm auszuweichen.
Wie der Speer eines Turnierritters raste der rasiermesserscharfe Schnabel der
Krähe heran, zu einem triumphierenden Pfiff geöffnet, der Taoyama die Ohren
klingeln ließ. Verzweifelt versuchte er noch, abzudrehen, doch sein
mörderisches Tempo wurde ihm nun zum Verhängnis. Die Drehung, eigentlich als
scharfer Richtungswechsel gedacht, brachte Taoyama aus dem Gleichgewicht und
ließ ihn der Länge nach auf dem harten Boden aufschlagen, sodass er mit dem
Gesicht voran über den Asphalt schlitterte und dabei einen Großteil seiner Haut
einbüßte. Das bewahrte ihn zwar vorläufig vor einem Schicksal als Mahlzeit am
Spieß, doch die mörderischen Krallen des Vogels streiften beim Vorbeifliegen
seinen Rücken und rissen seinen Mantel und die darunterliegende Haut in Fetzen.
Ohne
auf die brennenden Schmerzen zu achten, rappelte Taoyama sich wieder auf und
wollte weiterstürmen, doch da war die Bestie erneut heran und zielte mit ihren
Klauen nach seinen Augen. Mit einem keuchenden Schrei ließ Taoyama sich zum
zweiten Mal innerhalb weniger Sekunden auf den Asphalt fallen, sodass die
Krallen der Krähe an seiner Wange entlangschrammten und tiefe, blutige Kratzer
darin hinterließen. Taoyama brüllte wie ein waidwundes Tier und schlug die
Hände vors Gesicht.
Als
der Vogel das nächste Mal heranschoss, hatte Taoyama es gerade geschafft, sich
in eine halb kniende, halb hockende Position hochzuarbeiten. Mit einem
schrillen Schrei warf sich die Krähe wie eine Kanonenkugel gegen seine Brust und
schleuderte ihn erneut zu Boden. Sein Hinterkopf kollidierte mit dem Asphalt
und ließ blitzende Sterne vor seinen Netzhäuten tanzen, und noch bevor er die Benommenheit
gänzlich abgeschüttelt hatte, begann der Vogel, wie wild mit Klauen und
Schnabel auf sein Gesicht
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