Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Leider war das Mobiliar
in diesem Raum geradezu einschläfernd eintönig. Außer dem einfachen, in hellem
Holz gehaltenen Tisch, dem Sofa und dem Sessel, die ich bereits kannte, einem
zum Bersten vollgestopften Bücherregal, dessen Inhalt ich von meiner Position aus
nicht erkennen konnte, einem Fernseher, einem Radio und einem guten Dutzend Kunstdrucke
an den Wänden war nichts weiter zu entdecken, und im Großen und Ganzen erschien
mir Hansens Einrichtung unpersönlich und übertrieben akkurat ausgerichtet, wie
die Schauwohnfläche in einem Baumarkt.
Nur
ein einziges der Bilder an den Wänden schien sich von dieser Eintönigkeit
abzuheben. Es war ungewöhnlich groß, eine riesige Leinwand, die einen Großteil
der rückwärtigen Wand einnahm und für jeden Besucher ein wahrer Blickfang sein
musste. Der Künstler hatte ausschließlich mit Schwarz, Weiß und allen möglichen
Abstufungen dieser Farben gearbeitet und so ein wirres Spiel von Licht und
Schatten festgehalten, einen unergründlichen Wirbel aus Dunkel und Hell. Es war
schön anzusehen – aber kein Anblick, der nach einer Stunde intensiver
Betrachtung noch etwas Neues für mich bereithielt.
Zum
wiederholten Mal blickte ich auf die Uhr, stieß die Luft durch zusammengebissene
Zähne aus und schüttelte den Kopf über Hansens organisatorische Fähigkeiten.
Ich sah durchaus ein, dass es notwendig war, Lebensmittel zu lagern, falls wir
aus irgendeinem Grund gezwungen sein sollten, länger in diesem Haus auszuharren
oder es überstürzt und ohne Geld zu verlassen, trotzdem war mir nicht wohl
dabei, dass er uns ganz alleine zurückgelassen hatte, nach allem, was geschehen
war. Wahrscheinlich war seine Sorge um uns doch nicht ganz so groß, wie sein überraschender
Sinneswandel uns hatte glauben machen wollen.
»Woran
denkst du gerade?«, riss Kiro mich aus meinen Grübeleien.
Er
saß mir schräg gegenüber, noch immer in demselben Ohrensessel wie während
unseres langen Gesprächs mit Hansen, jeden Blickkontakt vermeidend. Seit der
Arzt gegangen war, hatten wir kaum ein Wort gewechselt; jeder für sich war in
seine eigenen düsteren Gedanken versunken gewesen.
Ich
hob die Schultern. »An nichts.«
Kiro
schüttelte stumm den Kopf und lächelte sanft. »An nichts?«, wiederholte er
schließlich.
»Zumindest
nicht an sehr viel mehr als du, wenn du das meinst«, sagte ich ein wenig kühler.
»Und
an was denke ich?«
Meine
Antwort folgte mit einiger Verzögerung; nicht, weil ich sie mir extra
zurechtlegen hätte müssen, sondern weil ich ernsthaft mit dem Gedanken spielte,
die Frage einfach zu ignorieren.
»Ich
nehme an, du denkst über die Vergangenheit nach. Und spekulierst über die
Zukunft.«
»Tust
du es denn?«, hakte Kiro nach.
»Kiro,
ich … ich will jetzt nicht reden«, gab ich müde zurück.
Kiro
wirkte zwar enttäuscht, nickte aber verständnisvoll. Ich konnte ihm ansehen,
wie schwer es ihm fiel, nicht einfach mit allem herauszuplatzen, was hinter
seiner Stirn herumgeisterte.
»Natürlich«,
sagte er trotzdem großzügig. »Wir sprechen, wann immer du willst.«
Wann
ich wollte ? Auf diesen Zeitpunkt konnte er lange warten. Am liebsten
hätte ich die Vergangenheit nie wieder mit auch nur einer Silbe erwähnt, nicht
einmal mehr an sie gedacht , und auch die Gegenwart erschien mir nicht
deutlich verlockender. Was die Zukunft betraf: Das einzig Positive, das ich an
ihr finden konnte, war der Umstand, dass sie noch nicht eingetroffen war. Nein,
ich wollte gewiss nicht mit Kiro über unsere Situation sprechen. Das einzige,
was ich wirklich wollte, war vergessen.
»Laura,
ich möchte nur, dass du weißt, dass es mir leid tut«, sagte Kiro leise.
»Dass
es dir leid tut?«, echote ich. »Mir fiele nichts ein, für das du dich entschuldigen
müsstest. Nicht das Geringste.«
»Aber
es war meine Schuld«, beharrte Kiro. »Alles, von Anfang an. Dass ich dich
nicht rechtzeitig vor Mike gewarnt habe, dass ich um ein Haar zu spät gekommen
wäre, als du im Feuer beinahe umgekommen wärst, und dass ich nicht aufgewacht
bin, als du das Gästezimmer verlassen hast und du deshalb diesem Irren auf den
Leim gehen konntest … All das geht auf mein Konto, weil ich dich ständig im
Stich gelassen habe. Weil ich dich aus den Augen verloren habe.« Ich wollte
etwas erwidern, doch Kiro schüttelte rasch den Kopf und brachte mich mit einer
Geste zum Verstummen. »Bitte lass mich aussprechen, Laura. Ich erwarte gar
nicht von dir, dass du mir die Absolution
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