Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
versuchte das Geschriebene zu entziffern. Nach einigen Minuten
begriff er, dass es nicht an der schlechten Qualität der Kopie lag, dass er
kein Wort davon lesen konnte.
»Was für eine
Sprache soll das sein?«, murmelte er. »Ein … arabischer Dialekt, oder …?«
Brandt
schüttelte den Kopf. »Nichts dergleichen, Junge. Man hat dieser Sprache den
Namen Kryptisch gegeben, denn weder weiß man, welches Volk sie einst gesprochen
hat, noch gibt es heute Menschen, die sie vollständig entziffern können.«
»Also ist die
Aufzeichnung wertlos?«
»Nicht doch.«
Brandt nahm Taoyama das Blatt aus der Hand. »Ich habe diese Kopie vor vielen
Jahren von einem … alten Bekannten erhalten. Er gab sie mir, bevor wir uns aus
den Augen verloren und der Zirkel sich vollständig auflöste. Darin findet man
alle Antworten, vorausgesetzt, man kann sie deuten.«
»Aber Sie
sagten doch, niemand kann das lesen?«
»Ich sagte,
niemand kann es vollständig lesen«, verbesserte Brandt. »Mit den Jahren
habe ich ein gewisses Gefühl für diese Sprache entwickelt, wenn ich auch nicht
einmal im Ansatz alles begreife. Wie auch immer, ich bin mir beinahe sicher,
dass in diesen Zeilen vom Untergang unserer Zivilisation die Rede ist. Es wäre
sinnlos, sich nun in Details zu verlieren, aber Fakt ist, dass uns nur noch
wenige Wochen bleiben, ehe unsere letzte Stunde schlägt.«
Taoyama
schüttelte den Kopf. »Sie meinen, das ist es, was in diesem vor Jahrtausenden
verfassten Wisch steht, den Sie nicht einmal wirklich lesen können? Warum sollte
man daran glauben?«
»Weil Er es tut«, antwortete Brandt ernst. »Ich habe Grund zur Annahme, dass auch Ihm einst dieses Schriftstück in die Hände fiel und dass Er über die alte
Prophezeiung Bescheid weiß. Aus diesem Grund ist Er nach all der Zeit
wieder auf der Bildfläche erschienen. Er will sich die Gunst der Stunde
zunutze machen, um wieder zu alter Größe zu gelangen.«
»Und was sollen wir nun dagegen tun?«, fragte Taoyama mit gerunzelter Stirn.
Brandt seufzte tief
und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Schrank, die Hände vor der Brust
verschränkt. »Das ist es ja, mein Junge. Ich weiß es nicht.«
Als Taoyama wieder auf dem
Rückweg war, fühlte er sich aufgewühlt und unbefriedigt. Brandt hatte eine
Büchse der Pandora in Taoyamas Kopf geöffnet, die er lieber niemals angerührt
hätte, und nun hatte der Japaner ernsthaft an sich selbst und seinem Vorhaben
zu zweifeln begonnen. Wenn sie tatsächlich so wenig über ihre Rolle in diesem
mysteriösen Spiel wussten, warum nahmen sie dann überhaupt noch daran teil?
Etwa nur, um sich als Vogelfutter für die Schoßtiere irgendeines irre
gewordenen Magiers anzubieten? Das konnte nicht alles sein, Taoyama weigerte
sich einfach, das zu glauben.
Als er im Flur
zu seinem Hotelzimmer stand, gefror das Blut in seinen Adern innerhalb weniger
Sekunden zu Eiswasser. Jemand hatte das Schloss herausgebrochen, und die Tür
stand einen Spalt breit offen. Sein Körper versteifte sich, er konnte sich
nicht mehr von der Stelle bewegen.
Ruf die
Polizei , flüsterte eine dünne Stimme hinter seiner Stirn. Lass das die
Profis übernehmen. Doch das war einfach lächerlich. Taoyama kannte die
Geschichten, er wusste, dass man der Polizei nicht trauen durfte.
Mit dem Fuß
stieß er die Tür auf und lugte um die Ecke. Vielleicht hatte er ja Glück, und
Maria war bereits gegangen, bevor eingebrochen worden war.
»Hallo? Jemand
da?« Taoyamas Stimme klang dünn und hoch. Er zwang sich selbst zur Ruhe,
versuchte, gleichmäßig zu atmen.
»Hiroshi, ich
bin hier!«
Ein eisiger Schrecken
durchzuckte Taoyama, als er Marias sich vor Panik überschlagende Stimme hörte.
Mit einem Satz war er losgestürmt und hatte die Tür zum Schlafzimmer aufgerissen,
aus dem der Ruf gekommen war.
Noch immer lag
Maria auf ihrem gemeinsamen Bett, mittlerweile wieder angekleidet. Ihre Augen
waren groß und schwarz vor Furcht, und als er das Zimmer betrat, schüttelte sie
wie von Sinnen den Kopf. Sie schien etwas sagen zu wollen, brachte jedoch
keinen Ton heraus.
»Mein Gott,
Maria, was ist hier nur passiert?« Rasch war Taoyama bei ihr, schloss sie fest
in die Arme. »Die Tür war aufgebrochen. Geht es dir gut, mein Engel?«
Sie zitterte
heftig in seinem Griff. »Hiroshi, sie sind hier! Du musst verschwinden,
schnell!«
Taoyama
richtete sich verblüfft auf, und im selben Moment schoss links und rechts von
ihm jeweils eine hochgewachsene Gestalt in die Höhe. Taoyama
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