Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Denkst du, es ist gut für dich, dich von uns abzukapseln und
hinter deine Lehre zu klemmen wie eine Besessene?«
Ich
sah Hansen verblüfft an. »Sie wissen …?«
Hansen
gab ein verächtliches Geräusch von sich und wischte meine Frage mit einer Handbewegung
zur Seite. »Natürlich weiß ich es! Denkst du etwa, ich wäre vollkommen blind?
Ich beobachte dich schon eine geraume Weile. Und selbst wenn es nicht so wäre –
wie sollte mir entgehen, dass du dir immer wieder Bücher aus meinem Regal
nimmst, wenn du denkst, ich würde nicht auf dich achten? Abgesehen davon, dass
du Dinge über die Magie und ihre Funktionen weißt, die du ohne diese Arbeit gar
nicht wissen dürftest. Du solltest vorsichtiger mit deinen beiläufigen
Äußerungen sein, im Mittelalter hätten sie dich deinen Kopf gekostet.«
»Aber
warum haben Sie mich nie darauf angesprochen, wenn es Sie so offensichtlich
stört?«, fragte ich verwundert.
»Das
hätte ich tun sollen, in der Tat«, gestand Hansen. »Ich nahm an, du wärst nur
in einer Phase, die vergehen würde, und hielt es für besser, abzuwarten. Da du
dich aber immer öfter an die Regale geschlichen hast und offenbar nicht
vorhattest, damit aufzuhören, habe ich mich entschlossen, dich endlich zur
Vernunft zu bringen. Kind, es hat einen Grund, warum ich euch die Dinge, die in
diesen Büchern stehen, nicht nahe bringe! Oder denkst du, ich verbiete euch
diese Schriften nur deshalb, weil ich euch mit meinem Wissen überlegen bleiben
möchte?« Hansen lachte verächtlich. »Gewiss nicht.«
»Ich
verstehe«, sagte ich und verzog spöttisch die Lippen. »Sie sind also der
Ansicht, ich würde mich Grenzen nähern, die ich besser nicht überschreiten
sollte? Sorgen Sie sich um den Erhalt meines gesunden Menschenverstandes?«
»Möglicherweise«,
antwortete Hansen ungerührt.
Ich
wollte etwas erwidern, doch Hansen ließ mich nicht zu Wort kommen, sondern fuhr
mit einem heftigen Kopfschütteln dazwischen. »Verdammt, Laura, wofür hältst du mich eigentlich? Denkst du tatsächlich keine Sekunde darüber nach, dass auch
ich mich um dich sorgen könnte? Menschen, die weitaus erfahrener waren als du,
sind an dem Wissen in manchen dieser Bücher zugrunde gegangen, weil ihr
Verstand einfach daran zerbrochen ist! Ich weiß, dass es dich in den Fingern
juckt, das Buch meines Freundes in die Finger zu bekommen.«
»Pah!«,
unterbrach ich ihn verächtlich. »Das alte Ding ist doch völlig nutzlos, solange
es niemand lesen kann.«
Hansen
hob die Brauen. »Denkst du das? Ich verrate dir ein Geheimnis, Laura: Wenn du
es wirklich wolltest, dann könntest du es lesen. Das weiß ich ebenso
sicher, wie ich weiß, dass ich es niemals entziffern werde. Aber das, was auf
diesen Seiten festgehalten ist, ist nicht für Unwissende bestimmt!«
»Nicht
für Unwissende?«, wiederholte ich.
»Es
gibt da etwas, das ich euch nicht erzählt habe«, begann Hansen. »Dieses Buch
mag die Lösung all unserer Probleme sein, und für dich würde es nicht die
geringste Schwierigkeit darstellen, es lückenlos zu übersetzen, da bin ich mir
sicher. Warum also denkst du, verzichte ich trotzdem darauf, einfach dich diese
Arbeit erledigen zu lassen?« Hansen wartete gar nicht darauf, dass ich etwas
erwiderte, sondern beantwortete seine Frage augenblicklich selbst. »Weil das
Risiko viel zu hoch wäre! In diesem Buch stehen Dinge, die kein Mensch je zu
erfahren bestimmt war, Dinge, die so abstoßend und fremd sind, dass das bloße
Wissen um ihre Existenz andere in den Wahnsinn getrieben hat – und das ist noch
das geringste Übel, glaub mir. Frühere Besitzer, denen es gelang, das Buch zu
übersetzen, verloren sich selbst und wurden zu Ungeheuern, weil sie seine
gewaltige Macht zu missbrauchen wagten.«
»Missbrauchen?«,
wiederholte ich scharf. »Sie fürchten, ich könnte mich von der Macht dieses
Buches beeinflussen lassen und mich möglicherweise gegen Sie wenden?«
»Falsch«,
widersprach Hansen kopfschüttelnd. »Das ist es nicht, keineswegs. Ich glaube
durchaus, dass du die Kraft des Buches unter deine Kontrolle bringen könntest.«
»Aber?«,
fragte ich lauernd.
»Laura,
du kannst nicht leugnen, dass du dich bereits jetzt viel zu sehr auf dein
Studium versteifst. Du tust beinahe nichts anderes mehr.«
»Und
wenn schon«, fauchte ich. »Was geht Sie das an?«
»Eine
ganze Menge, will ich meinen. Ich bin Arzt, Laura, vergiss das nicht. Eine
Lebensweise wie die deine ist auf Dauer sehr ungesund. Du schläfst kaum,
Weitere Kostenlose Bücher