Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
zu einer Zeit auf, die ich früher als mitten in der Nacht bezeichnet hätte. Mein Leben hatte sich gravierend geändert. Das Stadtkind war zum Landei geworden, und ich war täglich bis zu drei, manchmal vier Stunden draußen unterwegs. Da bleibt nichts anderes übrig, als früh aufzustehen, schließlich besteht das Leben aus weiteren Herausforderungen als nur jener, den Hund müde zu kriegen. Man muss auch noch ein bisschen Haushalt machen, einkaufen und zum Sport, telefonieren, Familie und Freunde treffen und, nicht zu vergessen, Geld verdienen, um Hundefutter zu kaufen.
Heute gehe ich maximal zweieinhalb Stunden Gassi, und manchmal frage ich mich, ob Luna wirklich so lange raus-möchte oder ob ich irrtümlich meine, das sei gut für sie. Für mich wird es wohl gut sein, aber ich mag es noch immer nicht. Ich jogge auch nicht besonders gern, obwohl ich es fünfmal in der Woche tue. Schön ist es danach – vor allem, wenn ich vom Joggen zurückkomme. Dann habe ich ein tolles Gefühl, was ein bisschen auch an der Freude auf den Kaffee liegen mag. Manchmal erzähle ich Johannes später, was ich unterwegs Tolles erlebt habe. Die Regentropfen auf der Trauerweide. Die ersten Schneeglöckchen. Luna im Matsch. Das Vogelkonzert im Biotop. Die falbe Wiese mit den Heuballen. Meine Wut, als mich die Hagelkörner verprügelten. Dreimal gestürzt auf dem Blitzeis. Luna hat den verlorenen Ball wiedergefunden. Die würzige Milde der Früh lingssonne. Währenddessen, also im Augenblick seiner Premiere, ist mir das alles oft gar nicht bewusst. Es ist gerade so, als bräuchte ich das Erinnern, um das Jetzt wirklich werden zu lassen, als wären nur jene Momente als Jetzt gespeichert, die ich erinnert habe, wobei fraglich ist, ob Jetzt und Erinnern nicht schon ein Widerspruch an sich ist, und was eigentlich bleibt, wenn man das Jetzt vom Erinnern trennt. Nichts nämlich, und es kann sein, dass es genau darum geht.
Der Spaten
E s kommt mir vor wie ein Wunder«, sagt Johannes, während er den VW -Bus startet, voll beladen mit all den Dingen, für die im Alltag zu wenig Zeit bleibt – Fahrräder, Surfbretter, Ballspiele, Bücher, Bücher, Bücher … als währte der Urlaub Monate – und hoch oben im Wagenfond Luna, wie immer unglücklich.
Urlaub bedeutet eine Veränderung des gewohnten Ablaufes, und das hassen Hunde. Schon in der Präurlaubszeit verfiel Luna früher zuweilen in eine Depression. Woran soll sich der Hund denn halten, wenn nicht an seinen gewohnten Trott?
Darin ähneln Hunde Menschen, die das allerdings besser verbergen können, nicht alle, aber viele. Es gibt auch welche, die sind in den ersten zwei, drei Tagen an einem Urlaubsort vordringlich damit beschäftigt, Routine herzustellen, um den Urlaub dann so geordnet wie nur möglich über die Bühne zu bringen. Und solche, die fahren seit dreißig Jahren auf denselben Campingplatz. Das können wir uns nicht vorstellen, allerdings reisen wir nun schon zum dritten Mal nach Kroa tien, nachdem wir in den Jahren zuvor in Italien waren. Immer zwei Wochen, den Sommer verlängern, sobald der Herbst Einzug gehalten hat in Bayern und Schwimmen in den Seen die Zweibeiner allmählich mehr Überwindung kostet als Spaß bringt.
Für Luna ist jeder Abschied endgültig, vor allem, wenn man ihren gemütlichen Bettkorb aus einer Ecke zieht, ein Rausschmiss aus der Gewohnheit, Gefahrenstufe rot. Ich kann das nachvollziehen, weil ich mich auch gerne in dieser Komfortzone aufhalte, in der ich mir keine Gedanken über Abläufe zu machen brauche. Aber ich weiß, ich komme wieder, oder rechne wenigstens damit. Das macht den Abschied leicht. Gerade in der Fremde wächst die Zuneigung zur Heimat. Doch diesmal ist alles anders. Werden wir zu dritt zurückkehren?
Meine Kehle ist eng. Für Sekundenbruchteile zuckt ein Bild auf: Johannes und ich beim Ausladen des Busses ohne Luna, weil wir sie im Süden begraben mussten. Jeder Handgriff tonnenschwer und wie leer das Haus, wie leer die Tage, das Leben. Ich will dieses Bild wegschieben – was man denkt, wird wahr – und schaue Johannes an. In seinem Gesicht lese ich, dass er das Gleiche denkt. Irgendwo habe ich mal gehört, dass Paare, die lang zusammen sind, immer weniger miteinander reden. Man kann das Abstumpfung nennen. Es könnte genauso gut etwas wie Telepathie sein. Man benötigt keine Worte mehr, entwickelt sich in eine höhere Stufe der Kommunikation. Das kann verbinden oder tren nen, wenn beide voneinander ein Scheitern erwarten, das
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