Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
sie sogar erhoffen, was sie wiederum vehement bestreiten. Die russische Dichtern Marina Zwetajewa hat es treffend um schrieben:
»Lieben heißt, den Menschen so sehen, wie ihn Gott im Sinn hatte und die Eltern nicht verwirklicht haben. Nicht lieben heißt, an seiner Stelle – Tisch, Stuhl sehen.« *
Johannes streichelt mir über die Hand und schaut in den Rückspiegel, wo Luna todunglücklich den Kopf hängen lässt. Dabei hat sie den bequemsten Platz für die lange Fahrt. »Luna, Urlaub!«, lockt er sie verheißungsvoll. Tatsächlich spitzt sie die Ohren und neigt neugierig den Kopf. »Es geht ihr gut«, spricht Johannes uns Mut zu. »Es geht ihr so gut wie vor dem Schlangenbiss«, er schmunzelt, »wenn nicht sogar besser nach all den blutigen Steaks.«
Ich möchte gerne zustimmen, doch es fällt mir schwer. Die schwarze Wolke grollt über mir. Auch das nimmt Johannes wahr. »Und das mit dem Milztumor«, fährt er fort, »ist noch lange nicht gewiss. Die Tierärztin kann sich irren. Denk lieber an das, was die Homöopathin gesagt hat. Außerdem hat Luna ihre Mindestlebenszeit nun schon um eine Woche übertroffen. Und sie wird auch die Maximallebenszeit schaffen. Da bin ich ganz sicher!«
»Ja«, sage ich und dann noch mal: »Ja.« Ich konzentriere mich auf das Bild einer gesunden Luna-Milz. Wie sieht eine Milz aus? Ich kenne bloß Rinderherzen, Rindernieren und die glitschigen Rinderlebern, die ich vor vielen Jahren im Ur laub meiner damaligen Nachbarin für deren Katze kleinschnitt. Fest schaue ich Johannes an. »Wir fahren zu dritt los und kommen zu dritt zurück.« »Darauf kannst du Gift nehmen«, erwidert er. Als ihm bewusst wird, was er gesagt hat, ich habe es gleich gehört, vielleicht hat er es erst durch meine Reaktion wahrgenommen, lacht er erschrocken auf. Nun lege ich meine Hand auf die seine. »Gegen Gift sind wir gefeit«, sage ich. Wir haben ein homöopathisches Mittel gegen Schlangengift im Gepäck, auch wenn es äußerst unwahrscheinlich ist, dass Luna noch einmal von einer gebissen wird.
Je älter wir werden, desto mehr Medikamente nehmen wir in den Urlaub mit, diesmal vor allem für Luna. Die Tierhomöopathin Frau Hölzel empfahl uns eine Misteltherapie. Luna bekommt nun zweimal wöchentlich eine Spritze, das macht Johannes. Fell am Nacken zwischen Daumen und Zeige finger hochziehen, Spritze rein, fertig. Luna zuckt nicht mal. Vertrauensvoll wie immer gibt sie sich in unsere Hände.
»An der Grenze werden sie uns für Junkies halten«, vermute ich.
»Wir sind keine zwanzig mehr«, erinnert Johannes mich. »Wir könnten das Spritzbesteck selber brauchen, Diabetes und so.«
»Jedenfalls haben wir gut vorgesorgt«, beruhige ich mich noch einmal. Frau Hölzel hat mir eine Tüte mit Notfallmedikamenten mitgegeben. Ihr Hund Gina ist vor zwei Jahren an einem Milztumor gestorben, ein sanfter Tod. Auch einen Not fallplan arbeitete Frau Hölzel für uns aus. Wenn Luna auskühlt und ihr Zahnfleisch weiß wird, geben Sie ihr dies, und wenn sie unruhig wird und panisch reagiert, das.
»Und wenn es ernst ist, wenn es zu Ende geht? Merke ich das dann überhaupt?«
»Ja, das merken Sie. Luna wird sehr schnell sehr schwach werden. Sie wird innerlich verbluten, das tut erst mal nicht weh. Also immer vorausgesetzt, sie hat tatsächlich einen Milz tumor, was ich, wie Sie wissen, nicht annehme. Ihr Allgemein eindruck ist sehr gut, das Fell glänzt, ihr Gang ist federnd und der Bauch weich, da ist nichts tastbar. Machen Sie sich bitte nicht verrückt! Im schlimmsten Fall geben Sie ihr die Mittel laut meinem Plan, das wird sie beruhigen, und bleiben Sie bei ihr.«
»Natürlich bleibe ich bei ihr. Bis zum Schluss. Immer bleibe ich bei ihr!« In Gedanken fügte ich hinzu: Ich bin die Große.
Ich stand schon an der Tür, da winkte mich Frau Hölzel noch einmal in ihr Behandlungszimmer und drückte mir einen schmalen Streifen Papier, in dem einige Globuli eingewickelt waren, in die Hand. »Das ist für Sie.« Kurz und kräftig strich sie mir über den Oberarm. »Wenn Sie der Schmerz überrollt. Wenn Sie merken, dass Sie ständig das Schlimmste befürchten.«
Wie immer in Ihrer Gegenwart glaubte ich fest an den Kindersatz, der auch Erwachsenen hilft: Alles wird gut. Frau Hölzel gehört zu jenen Heilerinnen, die allein durch ihre Gegenwart die Selbstheilungskräfte stärken. Und wenn sie meine stärkte, dann würde das auch Auswirkungen auf Luna haben, die ja an einer Nabelschnur mit mir lief.
Gerührt
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