Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
einer der Bauern in meinem Dorf nach der Schlachtung die Kiste mit den Abfällen offen stehen ließ, tat sich Luna an dieser Labung gütlich, sie war nicht der einzige Hund. »Sacklzement«, der betagte Bauer im taubenblauen Kittel kratzte sich am Kopf und wirkte alles andere als zerknirscht, umzingelt von mir und zwei weiteren aufgebrachten Hundebesitzern, eher schelmisch. »Do hob i woi vergessn, dass i die Kistn zuamach.«
Ich hatte Luna eine Stunde verzweifelt gesucht und das Schlimmste befürchtet – vergiftet, entführt, überfahren? »Das macht der alte Bauer öfter«, ließ mich mein Vermieter am nächsten Morgen wissen, als ich Luna vorsichtshalber an einer langen Leine festband. »Da er für die Entsorgung der Schlachtabfälle zahlen muss, sie werden gewogen, setzt er im Vorfeld auf den natürlichen Schwund durch Hund.«
Diese Stunde ohne Luna mit meinen schlimmsten Befürchtungen ging mir noch lange nach. Was für eine schreckliche Ungewissheit, wenn ein Tier nicht mehr nach Hause kommt. In der Süddeutschen Zeitung las ich einmal von den Qualen eines amerikanischen Schriftstellers, dessen Hund öfter ausbüxte. Einmal, gerade zur Weihnachtszeit, kam er nicht mehr nach Hause. Sein Herrchen Dennis Lehane dachte sich einen ungewöhnlichen Finderlohn aus: Wer den Hund zurückbringen würde, bekäme eine Rolle in seinem nächsten Buch.
Luna ist nicht nur zurückgekommen, sondern fast auferstanden. Klar, dass das eine Hauptrolle wert ist!
In meinem ersten Urlaub mit Luna erfuhr ich eindrücklich, dass die Gegenwart eines Hundes ein sicheres Gefühl vermittelt. Unsicher fühlte ich mich auch ohne Hund nie. Natürlich kenne ich die einschlägigen Sprüche, und ich wurde bestimmt auch hin und wieder betatscht, das ist normal in einer Frauenbiographie, behaupte ich, doch ich wies die Rüpel rasch in ihre Grenzen. Seit ich zusammen mit dem Polizisten Alexander Schwandner ein Buch über Zivilcourage geschrieben habe, weiß ich, dass es ein Verhalten gibt, das Täter regelrecht anzieht. Alex zeigte mir bei einer Patrouille über den Münchner Hauptbahnhof »Kandidatinnen«, deren Blick auf den Boden gerichtet war, sie liefen unsicher und waren in Zelte gekleidet. Die jungen Mädchen in körperbetonender Kleidung auf knallenden High Heels laufen dagegen weniger Gefahr, Opfer von Übergriffen zu werden, zu selbstbewusst ist ihre Ausstrahlung. Noch interessanter fand ich das Verhalten der Täter. Alex Schwandner nennt sie in unserem Buch Würstchen . Hunde lieben Würstchen! Aber Würstchen halten sich fern von Hunden, wie ich nun staunend merkte.
Als Stadtkind fühlte ich mich früher unter vielen sicherer als in der Natur, wo bekanntlich hinter jedem Baum ein schwarzer Mann lauert. Mit Luna war ich nun sehr viel im Wald unterwegs, wo ich keinen einzigen solchen Mann traf. Aber natürlich machen sich Bäume einen Spaß daraus, so zu tun, als stünden schwarze Männer hinter ihnen, die Rache für manches Kettensägen-Massaker. Doch der Wald daheim war deutsch und vertraut. Nun war ich in der Fremde. Ohne Luna wäre ich nicht um den herrlichen See gelaufen, der wie ein ausgebreitetes faltenloses Leintuch in der toskanischen Landschaft inmitten von knallrotem Mohn, lila Blumenwiesen und falbem und grünem Gras ruhte. Ohne Luna hätte ich mich dorthin gelegt, wo sich ein Dutzend Badegäste versammelt hatte, nah beim Parkplatz. Mit Luna war ich neugierig, wohin der schmale Weg durch das Schilf führte, und gelangte schließlich zu einem traumhaften Ort mit Blick über die Farbenpracht, den See, am Horizont aufgereiht einige Wächter und der Himmel königsblau. »Hier bleiben wir«, ließ ich Luna wissen. Ich hatte mir angewöhnt, mit ihr zu sprechen, und meistens wedelte sie mir eine Bestätigung zu. Das Wort Bleib konnte sie nicht ausstehen, es bedeutete ja, dass sie alleine warten musste, doch in einem an Menschen gerichteten Satz reagierte sie nicht darauf. Sie wusste genau, wann sie gemeint war. Ich breitete meine Strohmatte aus, zog mich bis zum Bikini aus, überlegte kurz und ließ den dann auch noch weg, schlug mein Buch auf und war glücklich. Luna erkun dete die Gegend und legte sich schließlich neben mich, sodass ich in Ruhe lesen konnte. Hin und wieder hob sie den Kopf und schnappte ein paar Informationen auf oder nach einer lästigen Fliege – Klack, hörte ich ihr Gebiss –, ich blätterte um, sie gähnte und rollte sich zusammen. … Bis sie plötzlich bellend aufsprang und losstürmte, nach ein paar
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