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Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Titel: Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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mich in der Realität ins Gefängnis gebracht hätte. Hoch vergnügt schrieb ich das Buch, bald schon vergaß ich meine Rache, für solche Gefühle habe ich langfristig weder Talent noch Durchhaltevermögen – Schreiben stimmt friedlich.
    In meinem erten Urlaub mit Luna saß ich jeden lauen Abend in einer der beiden Pizzerien auf der Piazza neben der Kirche, und Luna lag zu meinen Füßen, müde nach einem Tag voller Spielen und Schwimmen und Lernen, an der Leine zu gehen. Auch ich war rundum zufrieden, und wenn mir der bevorstehende Todestag einfiel, fühlte ich mich gefeit, es war ja nicht der erste. Diesen hatte ich damals vorgezogen, so bin ich ver anlagt. Ich erledige Dinge oft, ehe sie anstehen. Meine Manuskripte gebe ich meistens Wochen vor dem vereinbarten Termin ab, in manchen Beziehungen habe ich mich noch während der Beziehung von ihr verabschiedet. Wenn ich dann endgül tig gehe, bin ich wirklich fertig. Ich bin eine Vor-, keine Nachtrauerin. So konnte ich entspannt auf der Piazza sitzen, Pizza und Pasta genießen und danach einen Espresso, schwarz wie der Fellleib zu meinen nackten Füßen in Sandalen. Einmal sah ich mich von außen. Eine braungebrannte Frau, die große Stücke von einer Riesenpizza absäbelte und vollmundig kauend DIE ZEIT las. Obwohl sie allein war, schien sie nicht einsam zu sein, sondern genau am richtigen Platz, was vielleicht an dem Hund lag, der auf dem Boden ruhte, der seine Wurzeln tief in die Erde schlug, weil er das gewohnt war. Durch ihn und die Nabelschnur, die die beiden verband, entfaltete sich die Krone der Frau, die den ganzen Tag über Baum gespielt hatte.
    Manchmal fuhr ich zum Sonnenuntergang noch einmal ans Meer, wir liefen am Strand entlang oder saßen im Sand. »Schau«, sagte ich, und sie schaute mich an. Ich wies auf den roten Ball am Horizont. »Gleich ist sie weg.« Luna guckte, kluger Hund, sogar in die angezeigte Richtung, wedelte, schaute mich an. Mein Hund und ich. Ich und mein Hund. Es war wunderbar. Zu unserem Wir gehörte Johannes. Hoch oben in der Zirkuskuppel turnte ich mit Luna und wagte schnelle Salti, es konnte mir nichts passieren, weil Johannes ein Netz gespannt hatte und es mit seinen kräftigen Armen hielt. So näherte sich der Todestag, der erste, den ich mit Luna begehen würde.
    Der italienische Wettergott hatte ein Einsehen und schickte ein paar weiße Wolken über den ansonsten strahlend blauen Himmel, sodass Luna und ich bei unserem Morgenspaziergang am Strand nur wenigen Menschen begegneten. Mit meinen Schuhen in der Hand lief ich an den Wellen entlang, schaute ihnen nach, ihr Kommen und Gehen, und war be schäftigt mit Analogien und Metaphern. Das Leben. Das Ster ben. Damals. Luna fetzte Krebsen hinterher, überschlug sich im Sand, sprang auf alle viere, jagte weiter. Aus den Augenwinkeln nahm ich ihre Kapriolen wahr wie eine lästige Störung meiner Konzentration. Und vertiefte mich erneut in die Heraufbeschwörung meiner tristen Vergangenheit – heute war Leanders Todestag –, die jäh von einem empörten Auf schrei unterbrochen wurde. Luna! Sie hatte den Stoffball eines Kleinkindes geklaut und schüttelte ihn begeistert.
    »Luna! Hier!« Sie zögerte, überlegte, kombinierte, lief in meine Richtung und legte den Ball vor meine Füße. Zu Lunas Empörung gab ich ihn dem Kind zurück … Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, damals. Um diese Uhrzeit ahnte ich nicht, dass es der letzte Tag sein würde, den ich mit Leander verbringen würde. Dass ich zum letzten Mal …
    »Luna! Aus!!!« Erschrocken rannte ich zu ihr. Gestern hatten mich freundliche Italiener gewarnt. Diese Quallen, ekliger Glibber am Strand, seien giftig für Hunde. Ach, zum Glück, bloß eine vergessene Badeschlappe. Luna warf sie hoch in die Luft, sprang dann mit allen vieren ab, machte einen Katzenbuckel, landete auf der Seite, schnappte die Schlappe und fetzte durch die Wellen.
    … Dass ich zum letzten Mal in seine schönen braunen Augen schauen würde. Gut, dass ich es nicht gewusst hatte. Nicht zu wissen ist eine Erleichterung. Im Jetzt zu sein ist eine Erleichterung. Darauf kommt es letztlich auch an. Wenn man nicht in den Augenblicken lebt, sondern davor und danach, erinnert man sich später auch nicht mehr an diese Augenblicke, die es dann ja gar nicht gegeben hat, weil man sie verpasst hat im Davor und Danach. Und sie sind nie wieder nachzuholen. Vorbei ist vorbei.
    Ich war zirka vier Jahre alt, als mir dieses Dilemma bewusst wurde. Meine Mutter hatte

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