Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
schwer auf ihrer Schulter, und er hatte gewusst, dass ihre Augen funkelten. Vielleicht war sie wirklich in diesem Augenblick glücklich gewesen und hatte gehofft, dass sich alles ändern und er wieder wie früher werden würde, aber seine Normalität war nicht echt gewesen. Er hatte das Gefühl gehabt, sich anstrengen zu müssen, damit sie nicht traurig wurde. Bereits zu diesem Zeitpunkt schlief er unruhig, und die Gedanken huschten wie Irrlichter vorbei, die er nicht lenken konnte. Er wurde von Angstwellen verfolgt, die ganz unvermutet über ihm zusammenschlugen und ihn nie zur Ruhe kommen ließen. Er stellte sich vor, wie er seinen Peinigern eine runterhauen würde, sie treten, schlagen, ihnen die Knochen mit der geballten Faust zerschmettern würde – in Wirklichkeit wäre er dazu niemals in der Lage –, und er wachte meistens unruhig und verschwitzt davon auf. Er gab sich seinen Träumen von Rache hin, dass alle drei eines Tages ihre Strafe bekommen und vor die Tür gesetzt werden würden, aber er wusste gleichzeitig, dass dem nicht so war. Die Träume und Fantasien waren nutzlos, wie er einsehen musste, sinnlos, und sie zerrannen wie der Sand in einer Sanduhr.
Er war innerlich ganz leer und klar. Ab jetzt war es nicht mehr wichtig, was mit den anderen passierte, ob sie frei herumliefen oder ob die Gerechtigkeit siegte. Er selbst war derjenige, der über sein eigenes Leben bestimmte. Er und niemand sonst.
Er ging durch die Wohnung, holte die Skier vom Balkon und stellte sie neben die Wohnungstür. Er konnte eigentlich gleich seine Trainingskleidung anziehen. Ein Blick noch auf die Uhr. Er musste sich nicht beeilen. Ruhig und besonnen, keine Hast. Mütze, Skischuhe, Skiwachs, Fernglas.
Das Auto. Mist, was sollte er damit machen! Die einzige Möglichkeit war, es auf dem Parkplatz stehen zu lassen. Es würde für die Polizei ein Leichtes sein, den Besitzer herauszufinden. Das Autokennzeichen, und schon war die Sache klar. Lena würde es holen müssen, und das war weniger gut, aber er konnte es nicht ändern.
Das Schlafzimmer lag zum Hof hin. Er zog sich aus, warf Jeans und Pullover auf das Bett, das er schon am Morgen gemacht hatte; die Tagesdecke mit den aufgedruckten Seilen, die sich in einem raffinierten Muster umeinander schlängelten, war glatt gestrichen. Die Unterhose legte er in den Wäschekorb im Badezimmer und musste dabei fast über sich selbst grinsen. Warum wechselt man eigentlich ganz automatisch auch die Unterwäsche? War doch eigentlich gar nicht notwendig. Lag es an seiner verdammt guten Erziehung? Vielleicht landete er ja irgendwo, wo es darauf ankam, dass er sauber und gut gekleidet war. Die zuletzt gekauften Unterhosen waren jedenfalls schwarz. Umso besser, dachte er.
Ihre Zahnbürste war rot, seine grün, und beide hatten extra weiche Borsten. Schonend für das Zahnfleisch. Die Zahnpasta schmeckte süßlich nach Pfefferminz. Der Zahnarzt hatte das meiste des dunklen Zahnsteins entfernt, der von den Zigaretten und dem Kaffee herrührte. Obwohl das natürlich nun keine Rolle mehr spielte. Was die Frisur betraf, waren dieses Jahr kurz gehaltene Nacken modern, und bei dünnerem Haar empfahl sich sowieso ein Kurzhaarschnitt, wie die junge blondierte Friseuse mit braunen Strähnchen ihm freundlich erklärt hatte. Er hatte schon verstanden, dass seine spärlichen Haarreste, die er verzweifelt so zu drapieren versuchte, dass sie ihn etwas jünger aussehen ließen, in erster Linie einen pathetischen Eindruck machten. Jetzt fuhr er sich mit Frisierschaum durch das kurz geschnittene Haar. Obwohl es natürlich von der Mütze gleich wieder platt gedrückt werden würde.
Er löschte im Flur das Licht und verschloss die Wohnungstür. Gut, dass niemand im Treppenhaus zu hören war. Er wollte lieber niemandem begegnen, der sich später Vorwürfe machen würde, weil er ihn nicht aufgehalten hatte. Die Nachbarn waren nett. Anständige Leute. Lena und er kannten sie eigentlich nur flüchtig, denn in der Östergatan wohnten Leute, die ihre Wohnungen frühmorgens verließen und spätabends wieder nach Hause kamen. Zwei Familien mit Kindern lebten im Haus, mehr nicht. Die Kinder waren im Kindergarten oder in der Schule. Als er anfangs nicht mehr zur Arbeit gehen musste, empfand er dieses altehrwürdige Mietshaus mit Steintreppen, Spiegeltüren und Stuck an der Decke als Ruhepol – er konnte hier gut nachdenken, niemand stellte ihm nach, niemand tastete seine Minderwertigkeitsgefühle an. Doch in letzter Zeit
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