Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
du in letzter Zeit recht viel um die Ohren gehabt«, meinte Christina Löfgren.
Die Küche in der Tullgatan zeigte zum Hof. Die beiden Frauen tranken Tee und aßen Brote, Klara schlief.
Christina hatte in der Frauenklinik Spätschicht gehabt und war zufällig am Eingang vorbeigekommen, gerade als Veronika mit Klara an der Hand zu ihrem Auto zurückgegangen war. Veronika hatte sich gefreut und war gerührt gewesen, als sie ihre ehemalige Kommilitonin gesehen hatte, und Christina hatte sie nach Hause begleitet. Veronika war unendlich dankbar, nicht allein sein zu müssen, jetzt, wo sich ein schwarzer Abgrund vor ihr auftat.
»Wenn es nur nicht wieder zu bluten anfängt«, meinte sie mit leiser Stimme und schob nachdenklich ein paar Krümel auf ihrem Teller hin und her.
Die Blutung hatte von selbst wieder aufgehört, als sie in die Notaufnahme der Frauenklinik gekommen war. Sie hatte die widerstrebende Klara ins Auto gesteckt und war selbst gefahren. Sie hatte nicht die Kraft gehabt, einen Parkplatz zu suchen, sondern hatte ihr Auto direkt vor den Eingang gestellt. Sie hatte Glück gehabt, dass sie keinen Strafzettel bekommen hatte. Die Politessen seien wie Flöhe, meinte Christina. Sie fielen über einen her, wenn man am wenigsten damit rechne. Darüber hatten sie gelacht.
»Das wäre mir egal gewesen«, sagte Veronika, denn das kleine Herz hatte wie eine Uhr geschlagen. Das Wesen schwamm ganz vergnügt in ihr herum und hatte keine Ahnung davon, wie gefährlich es lebte.
Der Arzt hatte nicht sagen können, von wo genau die Blutung gekommen war. Er vermutete, von der Plazenta oder vom Rand der Plazenta. Die Plazenta lag ganz nahe am Gebärmuttermund, vielleicht sogar über ihm, aber das ließ sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht so recht beurteilen.
Veronika hatte sich das anschließend immer wieder vorgesagt, um es auch nicht zu vergessen. Sie hielt es nicht für sinnvoll, sich stationär behandeln zu lassen. Mit Klara wäre das auch sehr kompliziert geworden, und ihr blieb ohnehin nichts anderes übrig, als abzuwarten. Käme das Kind jetzt zur Welt, wäre es nicht lebensfähig. Es war erst gut achtzehn Wochen alt.
»Das wird ein langes Warten«, hatte sie anschließend zu Claes am Handy gesagt. Wo sie nur die Kraft hernehmen sollte? Darauf hatte er ihr auch keine Antwort geben können. »Ich bin jedenfalls immer für dich da«, hatte er gesagt.
»Was glaubst du?«, fragte sie jetzt ihre alte Freundin und Gynäkologin.
»Wir sagen immer, dass es meist gut geht, wenn das Kind noch lebt und wenn die Blutungen wieder aufhören«, meinte Christina vorsichtig.
Veronika nickte und hakte nicht weiter nach.
»Jedenfalls hat der Arzt mich für zwei Wochen krankgeschrieben. Das ist angenehm«, seufzte sie. Sie war immer noch den Tränen nahe. »Claes hat darauf bestanden, uns morgen abzuholen, aber jetzt geht es mir wieder gut, ich werde also wie geplant selbst fahren.«
Plötzlich überwältigte sie die Müdigkeit. Die Freundinnen beendeten den Abend. Christina zog sich in der kleinen Diele ihren Mantel an und wickelte ihren Schal um den Kopf.
»Ich hatte vor einiger Zeit eine Patientin aus Oskarshamn«, meinte sie. »Sie studiert hier und kam zu mir, weil sie Milch in der Brust hatte. Das kann alles Mögliche sein, beispielsweise ein Tumor der Hypophyse, ja, du weißt schon. Sie hätte kein Kind zur Welt gebracht, sagte sie mit Nachdruck. Jedenfalls bat sie mich um eine gynäkologische Untersuchung. Sie wollte also nicht nur, dass ich die Brust untersuche, was ein Chirurg vielleicht getan hätte. Alles war, wie es sein sollte, doch sie hatte Schwangerschaftsstreifen auf dem Bauch, aber die kann man auch haben, ohne ein Kind bekommen zu haben. Du weißt schon, Teenager, die wegen der Hormone zu schnell wachsen. Aber ihr Gebärmutterhals war etwas verdickt, wie nach einer Geburt. Tja … das heißt vielleicht nicht so viel. Aber sie wirkte etwas deprimiert. Irgendwie hilflos und einsam. Ich konnte sie nicht vergessen und versuchte, Näheres über sie in Erfahrung zu bringen, aber das ergab nichts. Irgendwas war mit ihr, aber sie wird schon darüber hinwegkommen!«
Veronika nickte. Sie war es gewohnt, dass Kollegen unvermittelt von irgendwelchen Patienten erzählten, auf deren Diagnose sie sich keinen Reim machen konnten.
Christina schwieg ein paar Sekunden.
»Aber warum erzähle ich das eigentlich?«, sagte sie dann. »Gute Nacht.«
Dann ging sie.
Das Auto fuhr dicht neben ihr her.
Anmache, dachte sie
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