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Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster

Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster

Titel: Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Autoren: Karin Wahlberg
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Sie starrte auf seinen Rücken und wagte es nicht, den Sitz zu verstellen, denn das hätte er hören können. Vorsichtig trat sie die Kupplung durch. Das war nicht so einfach, da sie kaum an die Pedale kam. Sie musste die Füße strecken und die Zehen benutzen. Dann legte sie vorsichtig den Rückwärtsgang ein. Sie klammerte sich am Lenkrad fest, um nicht nach hinten zu rutschen, während sie mit klopfendem Herzen das Gaspedal durchtrat, um ein paar Meter in die Mitte der Straße zurückzusetzen und dann davonzuschießen.
    Er musste etwas gehört haben. Misstrauisch drehte er sich zum Auto um und versuchte dann sofort den Strahl zum Versiegen zu bringen, um mit einem großen Schritt aus dem Graben zu kommen. Da ließ Sara-Ida die Kupplung kommen.
    Aber der Wagen setzte nicht zurück, wie sie gedacht hatte, sondern machte einen großen Satz vorwärts. Den Bruchteil einer Sekunde schaute sie in sein weißes Gesicht mit hilflosen und entsetzten Augen, ehe ihn die Stoßstange mit Schwung umriss. Diese Augen werden mich noch verfolgen, dachte sie im selben Augenblick, obwohl alles seine Schuld war.
    Dann war alles vorüber. Der BMW lag mit der Kühlerhaube im Graben.
    »Das wollte ich nicht«, jammerte Sara-Ida und massierte ihren Hüftknochen, mit dem sie gegen das Lenkrad geschlagen war. Dann drehte sie den Zündschlüssel und ließ ihn stecken.
    Verdammt. Sie besaß nicht einmal einen Führerschein. Sie war nur gelegentlich mit ihrem Vater gefahren. Aber sie hatte geglaubt, sie könne fahren!
    Sie kletterte aus dem Auto, stand bibbernd mitten auf der Straße und zog den Reißverschluss ihrer Daunenjacke hoch. Dann schob sie ihre Umhängetasche zurecht und streifte ihre Handschuhe über. Nicht einmal die weiße Mütze aus Angorawolle kam ihr im Augenblick sonderlich warm vor.
    Sie wollte wirklich nicht nachsehen, aber sie musste. Die Kühlerhaube des Autos zog sie magisch an.
    Als sie zum Graben kam, sah sie, dass es kein Problem war, zu Jörn nach unten zu rutschen. Wenn er noch lebte?
    Es schüttelte sie.
    Sie musterte ihn. Dann rammte sie die Absätze in den Schnee und kletterte in den Graben. Sie schaute unter die Stoßstange. Dort lag sein Kopf, das Gesicht nach oben. Sie beugte sich dichter zu ihm. Ich will ihn nicht anfassen, dachte sie, streckte dann aber doch die Hand aus und berührte sein borstiges Haar, das sich von dem nassen Schnee wie zusammengeklebt anfühlte. Das hatte sie wirklich nicht gewollt.
    Er hätte mich nicht anfassen, nicht mit mir wegfahren dürfen, der Idiot. Ihre Fingerspitzen berührten seine Nase. Sie fuhr ihm über die Wange. Er war warm, aber er reagierte überhaupt nicht.
    Sie richtete sich auf, kletterte aus dem Graben und stellte sich auf die Straße. Der Himmel war dunkellila. Der Mond schimmerte durch die Wolken wie durch Milchglas. Sie begann zu laufen.
    Es hatte wieder angefangen zu schneien.

17
    Daniel Skotte wachte auf, weil er pinkeln musste, war aber zu müde, um aufzustehen. Er hatte rasende Kopfschmerzen, und seine Augen brannten unter den geschlossenen Lidern. Er öffnete sie jedoch nicht und unternahm einen tapferen Versuch, wieder einzuschlafen. Er wollte alles vergessen.
    Aber es gelang ihm nicht. Er hob einen Arm in die Dunkelheit und tastete nach seiner Brille, um nachzuschauen, wie viel Uhr es war. In diesem Augenblick wurde ihm schmerzhaft bewusst, dass das Bett neben ihm leer war. Er ließ die Hand mit der Brille auf das leere Kissen sinken. Nicht dass er eine Sekunde lang daran geglaubt hätte, dass Sara-Ida wie durch ein Wunder mitten in der Nacht zu ihm ins Bett gekrochen wäre, ohne dass er es bemerkt hätte. Er hatte das Gefühl, in einen schwarzen Abgrund zu stürzen.
    Das letzte Mal ist über ein Jahr her, dachte er und wünschte sich, die Zeit wäre noch schneller vergangen und das Schreckliche ganz aus seinem Gedächtnis verschwunden.
    Er setzte die Brille auf. Sein Radiowecker zeigte 3:27 Uhr. Er stöhnte laut. Er fühlte sich lausig, wie immer zu dieser Tageszeit. Zu viele Nächte, die er wie ein Gespenst in den Krankenhauskorridoren herumgewankt war, hingen ihm nach.
    Sara-Ida schläft vermutlich in ihrem eigenen Bett, versuchte er sich einzureden. Das tat sie seinetwegen. Um ihn nicht wecken zu müssen, wenn sie Frühdienst hatte. Ein dankbarer Gedanke, von dem aus er wieder zu seiner inneren Ruhe zurückfinden konnte.
    Aber das funktionierte nicht. Sie konnte genauso gut zu jemand anderem nach Hause gegangen sein, da brauchte er sich gar nichts
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