Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
hinterherspionierte.
Plötzlich fühlte er sich gänzlich verlassen.
Er versuchte, sein Unbehagen in Schach zu halten. Rasch zog er die Schubfächer der Kommode heraus. Slips, Strümpfe, T-Shirts. Dann zog er die einzige Schublade des kleinen Schreibtisches heraus. Dort lagen ein paar Rechnungen und ein Foto von Sara-Ida zusammen mit einer dunkelhaarigen Freundin sowie ein vollgekritzeltes Adressbuch. Dann schob er die Hand tiefer in die Schublade und stieß auf ein dickes Bündel Geldscheine, das von einem Haarband zusammengehalten wurde. Er kam sich plötzlich dumm vor und hatte nur das Bedürfnis, sie auszuschimpfen. Was fiel ihr ein, ihr Geld so herumliegen zu lassen! Sie sollte es auf der Bank einzahlen.
Aber die Scheine versengten ihm förmlich die Finger. Irgendetwas kam ihm komisch vor.
Schließlich legte er das Bündel zurück, ging in die Küche und lauschte ins Treppenhaus. Er wollte nicht, dass sie ihn beim Herumspionieren ertappte.
Seine Unlust nahm zu, während er die winzige Küche in Augenschein nahm. Was hatte sie mit dem Geld vor? Wollte sie weg von hier?
Und wo hatte sie es her? Hatte sie das alles zusammengespart? Er versuchte sich einzureden, dass es ihr nicht unmöglich gewesen war, ab und zu ein paar Scheine auf die hohe Kante zu legen. Schließlich war sie keine Verschwenderin. Trotzdem war das beunruhigend. Er wollte sie fragen, sie damit konfrontieren.
Auf einem Holzbrett lagen ein halbes Brot, ein Käsehobel und ein Buttermesser. Sie war also am Morgen zu Hause gewesen. Oder war das noch von gestern? Er befühlte das Brot und bohrte mit dem Zeigefinger in die Kruste. Das Brot war frisch und nicht vertrocknet. Wahrscheinlich war sie am Morgen zu Hause gewesen. Vermutlich allein. Spuren eines Rivalen konnte er keine entdecken.
Der Brotduft stieg ihm in die Nase, und in seinen Eingeweiden begann es zu rumoren. Wie immer nach einem Besäufnis, dachte er. Er eilte auf die Toilette. Hierwürde er jetzt eine Weile verbringen müssen.
Er sah sich um. Der Boden in der Dusche neben ihm war vollkommen trocken. Falls sie geduscht hatte, waren seither etliche Stunden vergangen. Vor seinen Knien stand ein schmaler Wagen mit drei ausziehbaren Metallkörben. Er beugte sich vor und zog die Körbe heraus. Shampoo, Seife, Hautcreme, Waschmittel und Haarklammern lagen in den Körben. Nichts Ungewöhnliches. Bis er zu dem Korb ganz unten kam.
Er erkannte den Stoff sofort wieder. Er fand es merkwürdig, dass sie in Krankenhauskleidung nach Hause gegangen war. Der hellblau-weiß gestreifte Kittel aus Kräuselkrepp war zu einem Bündel zusammengeknüllt. Sie hatte es vielleicht eilig gehabt und vergessen, ihn auszuziehen, als sie nach Hause gegangen war.
Er nahm das Kleidungsstück in die Hand. Unbeschädigt, sauber, keine Flecken. Er knüllte es wieder zusammen und wollte es wieder zurücklegen, da spürte er etwas Hartes. Er wickelte den Kittel wieder auf und sah in den Taschen nach. Die eine war leer, aber in der anderen fand er zwei Ampullen.
Sie standen um den jungen Mann herum, der auf der Bahre lag. Sein Gesicht war blutleer, wächsern.
Die Mutter brach in Tränen aus. Der Vater wirkte ratlos, er ließ den Kopf hängen. Die beiden taten Claesson unendlich leid.
Claesson sah Erika Ljung an, sie nickte. Sie gingen nach draußen und ließen die Eltern eine Weile allein.
Erika stellte sich ans Fenster und ließ ihren Blick auf dem funkelnden Weiß ruhen.
»Ein fast unverschämt schöner Tag«, sagte sie. »Jedenfalls muss es ihnen wie eine Unverschämtheit vorkommen.«
Claesson nickte. In diesem Augenblick vibrierte sein Mobiltelefon in seiner Hosentasche. Veronika rief an.
»Hallo«, sagte er leise und wandte sich von Erika ab. Er sagte, er habe nicht viel Zeit.
Als er zurückkam, sah er erleichtert aus.
»Veronika ist mit den beiden Mädchen von Lund auf dem Weg hierher. Die Straßenverhältnisse sind gut«, sagte er.
»Wie schön«, erwiderte Erika. »Wahrscheinlich haben sie mittlerweile überall geräumt.«
Die Eltern von Jörn Johansson kamen aus dem Abschiedsraum. Claesson und Erika halfen ihnen in ihren Dienstwagen und fuhren sie zum Präsidium.
Daniel Skotte parkte seinen Wagen auf dem Krankenhausparkplatz. Es war sehr viel los, und viele Taxis standen vor dem Eingang. Heute werden fast alle entlassen, dachte er. Alle wollten über Weihnachten nach Hause.
Er musste dringend wissen, was los war. Entweder das, oder … sein Handy klingelte, als er die automatischen Türen
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