Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
sich an Svens Gelassenheit. Seine Wärme war spürbar, ohne dass sie ihn berührte.
Als er sich ein Stück von dem Mandelkranz nehmen wollte, klingelte es. Sie entschuldigte sich und ging öffnen. Vor der Tür stand ein Mann mit einem aufgerollten Teppich unter dem Arm, der ungeniert eintrat. Er war in Begleitung einer Frau. Zerzauste Haare, ahnte Birgitta, konnte die Person aber kaum sehen.
Dann ging alles ganz schnell. Der Mann, der ziemlich ungepflegt aussah, rollte den Teppich aus und hielt ihn hoch.
Ein mottenzerfressener, alter Gebetsteppich! Was sollte das?
Die Frau, von der sie nur einen Schatten gesehen hatte, war im Haus verschwunden.
»Sven!«, rief sie. »Geh ins Schlafzimmer!«
Der Mann mit dem Teppich zögerte, senkte die Arme, hielt die Teppichkante aber immer noch in den Händen. Da sah sie, dass ihm an der rechten Hand ein Finger fehlte. Das lenkte sie ab.
Plötzlich tauchte die Frau wieder in der Diele auf, blieb wie angewurzelt stehen und starrte Birgitta Olsson an.
»Nilla?«, rief Birgitta und war selbst erstaunt, dass sie sich noch an den Namen der Patientin erinnerte, die sie vor ein paar Tagen behandelt hatte.
Schnell wie der Blitz hatten sie das Haus wieder verlassen, der Mann, dem ein Finger fehlte, und ihre Patientin Nilla.
Birgitta rannte ihnen nach, aber Sven, der Feigling, zeigte sich nicht. Durchtrainiert und leichtfüßig wie ein Reh lief sie die Straße hinunter, aber die Trickdiebe waren schneller. Birgitta sah den aufgerollten Teppich um die Ecke zum Strandvägen verschwinden und gab auf.
Sie ging langsam zurück, um wieder zu Atem zu kommen. Und um ihren Zorn verrauchen zu lassen.
Sven stand in der Diele.
»Du musst bei der Polizei anrufen«, sagte er.
»Und was soll ich denen sagen? Die glauben mir ja doch nicht.«
»Ach was.«
Aber der Anruf war bei der Polizei bereits registriert worden. Sie überwachten alle Telefongespräche, um so vielleicht Carl-Ivars Mörder auf die Schliche zu kommen.
Nachdem Sven etwa eine Stunde später wieder rübergegangen war, überlegte Birgitta, ob er Agneta erzählen würde, was passiert war.
Wahrscheinlich nicht, denn dann musste er ihr sagen, dass er sie manchmal besuchte. Aber der Vorfall war schon ziemlich unglaublich!
Nillas verhärmtes Gesicht fiel ihr wieder ein, als sie später vor dem Fernseher in Johans altem Zimmer saß und die frühen Nachrichten, gefolgt von den Lokalnachrichten, anschaute. Sie wollte sehen, ob noch andere mit dem Teppichtrick belästigt worden waren.
Der große Fernseher im Wohnzimmer wirkte wie ein blank polierter Altar. Nur Carl-Ivar konnte das Ungetüm in Gang setzen. Teuer, mit Aufnahmefunktion und mit drei Fernbedienungen, die in einer bestimmten Reihenfolge benutzt werden mussten, weil sonst überhaupt nichts funktionierte. Diese Reihenfolge hatte Carl-Ivar nirgendwo aufgeschrieben. Sie musste vermutlich jemand kommen lassen, vielleicht würde sich Johan ja auch opfern, aber eigentlich funktionierte der alte genauso gut. Ihr genügte er jedenfalls.
Sie wickelte die Angoradecke fester um sich. Von Betrügern mit einem Teppich war nicht die Rede. Diese verdammten Drogen, dachte sie. Die bringen die Leute um ihren Sinn und Verstand und richten sie körperlich zugrunde.
Wer war dieser Mann? Sie dachte nach. Wieder sah sie den Jungen vor sich, den sie einmal gepflegt hatte. Das war lange her. Blau geschlagen und mit gehetztem Blick versuchte er, sich in dem viel zu großen Krankenhausbett zurechtzufinden. Bewegte Arme und Beine. Versuchte eine Stellung zu finden, in der seine Blutergüsse am wenigsten schmerzten. War er damals vier oder fünf gewesen?
Sie erinnerte sich, dass sie die Pflegehelferin ablöste, die am Bett saß. Das Licht der Nachttischlampe war gedämpft, die Dämmerung grau. Der Junge zuckte ab und zu und warf seinen Kopf auf dem Kissen hin und her. Vielleicht hatte er Alpträume. Sie hatten ihm ein Schmerzmittel gegeben. Vermutlich Albyl für Kinder, das hatte man damals hauptsächlich verwendet. Recht wirkungslos, aber man hatte eine im Grunde unberechtigte Angst vor zu starken Schmerzmitteln. Die Kleinen hatten sich stattdessen quälen müssen.
Schließlich kam er zur Ruhe. Die verbundene Hand lag weiß wie Schnee auf dem Kissen neben dem Kopf. Ihm fehlte ein Finger. Die Kneifzange hatte ganze Arbeit geleistet. Wie hatte er das nur tun können? Noch dazu der Vater!
Sie strich ihm über die Stirn, beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Sie musste das
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