Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
würde er zurechtkommen. Ich muss, redete er sich ein.
»Es wird alles gut gehen«, sagte er.
Veronika antwortete nicht sofort.
»Irgendwie vermutlich schon«, erwiderte sie, als die Schmerzen nachgelassen hatten.
Sie erreichten Lindsdal. Jetzt war es nicht mehr weit. Veronika schnappte sich das Handy und rief ein weiteres Mal bei der Entbindungsstation an. Sie teilte der Hebamme mit, sie seien jetzt an der Stadtgrenze. Die Person am anderen Ende stellte weitere Fragen. Unendlich viele Fragen. Claes wünschte, er hätte sie für Veronika beantworten können. Ihr damit helfen können. Sie antwortete so detailliert wie möglich, dann beendete sie das Gespräch, stützte sich mit beiden Händen auf das Armaturenbrett und schrie lange und laut, so wie Claes es noch nie gehört hatte, zumindest nicht aus ihrer Kehle.
Sie hatten die Abfahrt Richtung Öland-Brücke erreicht und näherten sich dem südlichen Ende von Kalmar. Ein Schild zeigte ein rotes Kreuz auf weißem Grund. Es ging zur Klinik.
6
Ilyas Bank saß in einem überheizten Zimmer der Polizei, die an einer engen, geschäftigen Gasse in der Nähe des Kräuterbasars lag. Er hatte sich dorthin fahren lassen, denn allein hätte er vermutlich nicht hingefunden. Die schmalen Sträßchen glichen den Gängen in einem Ameisenhaufen.
Er ermahnte sich zu etwas mehr Gelassenheit, was ihm nicht leichtfiel. Er trommelte mit den Daumen auf die Oberschenkel. Er saß vor einem leeren Schreibtisch mit Stahlrohrbeinen und Holzplatte, auf dessen einer Ecke ein riesiger Computermonitor thronte, und wartete darauf, dass seine Aussage zu Protokoll genommen wurde. Das Warten machte ihn nervös.
Wenn sie jetzt nur nicht glaubten, dass er etwas mit der Sache zu tun hatte! Er war kein Mörder. Das Geld, dachte er. Er bereute, dass er den Umschlag an sich genommen hatte. Wenn sie ihm deswegen jetzt den Mord anhängten!
Vor allem erfüllte ihn aber ein Gefühl der Dankbarkeit darüber, dass dieser Vorfall nicht zu Hause, sondern in einer Millionenstadt geschehen war, in der ihn kaum jemand kannte. Er hatte die neugierigen Augen in seinem Nacken gespürt, sowohl am Fährterminal als auch vor der Wache. Woher sollten die Leute auch wissen, dass er nur ein Zeuge war. Dass er nicht der Mörder war. Dass er überhaupt kein Krimineller war. Dass sein Gewissen rein war. Fast jedenfalls.
Die Geldscheine tauchten vor seinem inneren Auge auf. Hoffentlich hatten sie sie nicht gefunden! Warum war er nur so dumm gewesen, den Umschlag einzustecken?
Es gefiel ihm nicht, warten zu müssen. Die Polizistin hatte rasch das Zimmer verlassen, um etwas zu holen. Das dauerte. Er fragte sich, ob das wohl ein Trick war, um ihn unsicher und mürbe zu machen. Sein Magen zog sich zusammen. Er müsse nur eine Aussage machen, hatte die Polizistin gesagt, mit der er es jetzt zu tun hatte. Aber so viel war klar, es galten alle als Verdächtige, bis das Gegenteil bewiesen war.
Die Polizistin hieß Merve mit Vornamen. Das stand zumindest an der Tür. Bei der Polizei zu sein, das war schon etwas. Der Neid versetzte ihm einen Stich.
Er befand sich in einem Teil der Stadt, in dem er sich nicht zu Hause fühlte, irgendwo in Eminönü, einer Touristengegend. Hier war es einmal abgesehen von den Restaurants abends ziemlich tot. Hier lagen die klassischen Sehenswürdigkeiten und natürlich viele Hotels. An einem seiner ersten Tage in Istanbul hatte ihn seine Schwester hierher mitgenommen.
Am bekanntesten war der Topkapi-Palast, den er jeden Tag von der Fähre aus sehen konnte. Der Palast lag weit oben auf der Serailhalbinsel, wo Bosporus und Marmarameer aufeinandertrafen. Vor dem Eingang bildete sich stets eine lange Schlange, und der Eintritt war so hoch, dass sich seine Schwester und er die Besichtigung sparten. Er wusste, dass sich ein reicher Sultan diesen Platz ausgesucht und verschwenderisch bebaut hatte. In diesem Palast hatte er einen großen Harem unterhalten, der zwar nicht mehr existierte, aber nach wie vor die Fantasie anregte.
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Die Tür ging auf, die Polizistin trat ein und setzte sich an den Schreibtisch mit dem summenden Computer. Hinter ihr betrat ein Mann in Zivil das Zimmer. Er trug ein Tablett mit zwei Teegläsern, das er abstellte, um wieder zu verschwinden.
Ilyas gab sich Mühe, die Polizistin nicht anzustarren. Ihr Alter war schwer zu schätzen, zwischen dreißig und vierzig vielleicht. Sie hatte eine hübsche Nase mit leichter Krümmung, wie ihm auffiel,
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