Lust auf Lust: Intime Geständnisse
Freundschaft. Eine gesunde Freundschaft, in der zufällig beide Seiten leidenschaftlich daran interessiert waren, über das Sexualleben des anderen zu plaudern (wohlgemerkt: in der Zeit, bevor ich die ›Freundin von‹ wurde). Und die auf ganz normale Weise bestens per Körpersprache kommunizierten. Ich finde es einfach schön, Menschen mal eben so anzufassen. Wir fanden einander einfach sehr, sehr nett. Aber abends habe ich mich dann schon öfter mal gefragt: Was ist das jetzt eigentlich?
Denn meine Hingabe für diese Freundschaft war nicht normal. Er war der beste Freund von meinem Freund. Er war verbotenes Gebiet. Daher attraktiver als, sagen wir, der Weltfriede. Dadurch, dass er mir so nahe war, dass ich ihn so gut kennengelernt hatte - aber dann nur seine guten Seiten und nie seine schlechten -, und durch seinen Status als verbotene Frucht - was ihm in verzierten, fettgedruckten, kursiven Riesenbuchstaben auf der Stirn geschrieben stand - war er die personifizierte Tantalusqual. Das Briebrötchen für den hungernden Afrikaner. Der Breezer für die ausgetrocknete Discotussi. Das Pornoblatt für die Nonne.
Das ging nicht, das ging wirklich nicht. Wirklich. Nicht. Und ich wusste nicht einmal sicher, ob ich es überhaupt wollte. War er wirklich so nett? Die Situation objektiv betrachten war nicht mehr drin. Ich wusste, dass ich meinen Freund liebte, aber war das denn möglich, wenn ich eventuell in seinen besten Freund verliebt war? Ich war mir beinahe sicher, dass die Gefühle, die ich für ihn empfand, durch Vorstellung, Status und Rolle bestimmt wurden. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen, er war süß und unerreichbar, und es war verboten. Und ich hatte natürlich nie mit ihm darüber geredet.
Mir blieb nichts anderes übrig, als zu rationalisieren. Mir klarzumachen, dass so was wahrscheinlich öfter passiert, dass es ein fataler psychologischer Effekt war und dass rein gar nichts mit ihm selber zu tun hatte. Dass man es einfach ignorieren musste. Dass man schließlich Menschen nicht einfach so mal umtauschen kann, den Neuen für zehn Tage ausprobieren und, falls der einem nicht gefällt, wieder zum alten Freund zurückgehen.
Die Monate danach ging ich dann nicht mehr so oft zu Geburtstagspartys. Lieber lud ich meinen Freund bei mir zu Hause ein, um übersentimental miteinander zu verschmelzen. Und danach ging ich doch wieder auf Geburtstagspartys. Der Freund von meinem Freund sagte, er habe mich vermisst. Einfach so. Rein freundschaftlich.
Fatal
I ch liege ausgestreckt auf dem Sofa und gucke As The World Turns , das Einzige in meinem Leben, was mir Trost und Stütze ist, mein einziger echter Freund. Ich löffle langsam einen großen Becher unglaublich gesunden Joghurt in mich hinein, der aber reichlich unpraktisch konstruiert ist, weil unten auf dem Boden eine Art Blaubeermarmeladen-Schicht ist, die man nur erreicht, indem man mit dem Löffel ganz nach unten bohrt. Das Resultat: überall Joghurt. Ich verfluche mein Essen, weil es mich um kostbare ATWT-Zeit bringt, und habe inzwischen auch Joghurt an den Fingern kleben.
Dann klingelt das Telefon. Mit meiner klebrigen Hand drücke ich auf den grünen Knopf. »Jaaa….?!«, sage ich ins Telefon, in einem Ton wie: »Ich hab keine große Lust, irgendwas anderes zu tun, als was ich jetzt tue, also solltest du vielleicht lieber ganz schnell wieder auflegen.« Dann setze ich mich mit einem Ruck auf, was die Joghurtsituation nicht gerade verbessert, und verändere meinen Ton zu: »Oh, wie schrecklich schön, dass du anrufst! Nein, natürlich will ich nichts lieber tun, als mit dir reden, haha. Du bist ja soo witzig!« Es ist nämlich der Typ, dem ich auf der letzten Party begegnet bin, ein richtig netter Typ. Angesichts der Tatsache, dass er es sich geleistet hat, mich nach drei Tagen immer noch nicht anzurufen, hatte ich ihn im Geiste mindestens schon dreimal rituell geopfert, aber durch seinen Anruf hat er jetzt alles wiedergutgemacht.
»Nein, natürlich hab ich Lust, mit dir was trinken zu gehen. Nein, natürlich hab ich gerade nichts Schönes gemacht. Ich komme gleich. Ja. Bis gleich.« Leichter als je zuvor nehme ich Abschied von Soap und Joghurt und zwänge mich in einen winzigen Fetzen Stoff. Ausgerüstet mit einem Haufen Zigaretten und Miracle-Parfüm gehe ich in die Stadt.
Als ich zur Kneipe komme, sehe ich ihn schon von draußen da sitzen. Ich sehe seinen geraden Rücken und sein schickes Hemd, dass gut zu seiner Jacke und seiner guten Haltung passt.
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