Lust auf Lust: Intime Geständnisse
wissen will, wie er darauf reagieren könnte.
Spiegelbild
M ein Freund ruft mich an.
»Liebling«, sagt er in fragendem Ton, »wir sind doch ganz experimentierfreudig und jung und unkonventionell und so, nicht?«
In diesem Ton so etwas seine Freundin zu fragen impliziert eigentlich schon die Antwort. Wir sind nämlich ein Pärchen so wie alle Pärchen, die nach und nach alle total autistisch und menschenscheu werden. Die sich gerne mit ganz viel zu Essen und ganz vielen Filmen einschließen und es sich dann die ganze Zeit »gemütlich machen«. Ein Pärchen mit Traditionen, Insiderjokes, Angewohnheiten und Macken, die alle darauf hinauslaufen, dass kein Außenstehender sie mehr begreift, was dann das Wir-Gefühl noch verstärkt. Die um zehn Uhr ins Bett gehen, zusammen eine Tasse Pickwick Goodnight trinken und dann beide das Lämpchen an ihrer Seite des Betts ausknipsen. Das ist das Schönste. Aber kühn, jung und unkonventionell? Nur in Geschichten.
Also sage ich: »Ja, Schatz, natürlich. Ich bin für alles zu haben, und du bist doch auch so ein wilder Bär. Aber wir werden doch keine verrückten Sachen machen, oder?« Trotz meines hilfreichen Versuchs schleicht sich ein Zweifel in meine Stimme. Jung und unkonventionell, schon gut, aber ich komme natürlich nicht freiwillig von meinem Sofa runter.
»Okay, gut, ich hab nämlich was Neues. Ich glaube, es wird dir gefallen.« An dieser Stelle schwant mir nun doch, dass mein Freund unser ungeschriebenes Gesetz von »wer wir sind« versus »was wir tun« - und den nicht zu vernachlässigenden Unterschied zwischen den beiden - vergessen oder nie kapiert hat. Ich stelle die Füße vom Sofa auf den Boden und mache mir allmählich wirklich ein bisschen Sorgen. »Okay … was hast du denn?«, frage ich halb interessiert in meinem allertolerantesten Tonfall, mit der goldenen Pärchenregel - »erst losschreien, wenn du es ganz sicher weißt« - im Hinterkopf.
»Komm doch mal vorbei«, sagt er.
Und mit einer Schreckensvision vom neuen Zimmer meines Freundes, einer brandneuen High-Tech-Folterkammer vor meinem geistigen Auge, steige ich aufs Fahrrad.
Ich sehe es sofort, als ich hereinkomme. Meine Bilder von funkelnden Präzisionsschneidewerkzeugen werden sofort verdrängt durch den ungeheuer großen Spiegel, den er sich stolz an die Wand gehängt hat. Und dann auch noch an einem äußerst strategischen Platz. Nämlich direkt neben seinem Bett. »Schatz …«, sage ich überrascht und ein bisschen überwältigt. So viel Fantasie hatte ich ihm nie zugetraut. »Bist du jetzt extra zu Ikea geradelt, um einen Pornospiegel für uns zu besorgen?«
»Na ja, eigentlich nicht. Ich hatte ihn gekauft, weil ich sowieso mal einen Spiegel haben wollte. Und da hab ich mir diesen Platz ausgedacht. Komm, leg dich mal aufs Bett.«
Ich lasse mich zum Bett führen. Ein verstohlener Seitenblick. Da bin ich, nicht zu übersehen. Ich versuche, nicht allzu sehr daran zu denken, aber ständig linse ich kurz durch meine Wimpern zu mir selber hin.
Ich finde es jetzt schon komisch und küsse meinen Freund, während ich mit einem schrägen Blick zu uns rübersehe. Der reagiert begeistert auf diese Annäherung, die ohne Zweifel nahtlos an das anschließt, was er sich vorgestellt hatte. Während wir uns ausziehen, versuche ich, nicht hinzusehen, aber das ist verlorene Liebesmüh. Auch wenn ich noch nicht so recht weiß, was ich davon halten soll, was ich da sehe, gucke ich doch hin. Meine Aufmerksamkeit wird sozusagen vom Spiegel aufgesaugt, der unbarmherzig aber doch wahrheitsgetreu meinen Körper zeigt. Es ist eigentlich das erste Mal, dass ich mich von dieser Seite betrachte. Es ist komisch. Aber es hat eindeutig was.
Die Zeit des unschuldigen Sich-Ausziehens und Betrachtens ist vorbei. Wir fangen an, uns zu lieben, und wieder wird mein Blick zum Spiegel hingezogen. Fasziniert betrachte ich unsere Bewegungen. Wie Narziss werde ich süchtig nach meinem Spiegelbild. Undeutlich denke ich, was für ein schrecklicher Egotripper ich doch sein muss.
Aber dann stelle ich noch eine Veränderung an mir fest. Ich will nicht nur das Spiegelbild dessen sehen, was wir gerade machen. Ich will selber Bilder machen. Dinge tun, weil da ein Spiegel hängt. Ungefähr zur selben Zeit fangen wir an, darauf zu achten. Wir vögeln ästhetisch. Wir machen unseren eigenen Porno. Wir sehen den andern in den Spiegel gucken und lassen uns vom Blick des andern antreiben. Er sieht mich nicht mehr direkt an, er sieht mich
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