Lust de LYX - Fesseln der Leidenschaft (German Edition)
Selbst Ashur hat nicht den geringsten Verdacht geschöpft. Bis es zu spät war.«
Tariq richtete den Blick wieder nach vorn, als der Hoffnungsschimmer zerstob. Er dachte daran zurück, wie die Wärter Ashur bei Zoraidas letztem Besuch gegen die Gitter seiner Zelle geschmettert hatten. Sein Bruder hatte kaum aus eigener Kraft stehen können. Seine Augen waren glasig und unfokussiert gewesen. »Wo hält sie euch beide gefangen?«
»In einer Zelle. Nicht weit von deiner.«
»Und wie lange seid ihr schon hier?«
»Ich bin nicht sicher. Wochen. Monate. In meinem Kopf scheint alles ineinanderzufließen. Sie haben Ashur vor ein paar Tagen zu mir gebracht. Aber er ...«
Tariq wandte ihm den Kopf zu, als er das Zögern in seiner Stimme hörte. »Was ist mit ihm?«
Nasir hielt seinem Blick unverwandt stand. »Es geht ihm nicht gut, Bruder. Sie holen ihn immer wieder. Und wenn sie ihn zurückbringen, ist er noch blutiger und geschundener als zuvor. Ashur tut nichts, um die Prügel zu provozieren. Er regt sich kaum und spricht auch fast nicht. Ich habe versucht, sie dazu zu bringen, mich an seiner Stelle mitzunehmen.« Nasirs unversehrter Mundwinkel formte ein winziges Lächeln, was Tariqs Aufmerksamkeit auf seine frisch gespaltene Lippe lenkte. »Hin und wieder gelingt es mir. Trotzdem lassen sie einfach nicht von ihm ab.« Nasirs Lächeln erstarb. »Er ist —«
Neuer Zorn brandete durch Tariq. »Der Prügelknabe.«
Nasir hob den Kopf. »Wie meinst du das?«
»Zoraida kann mich nicht bestrafen, denn das würde zu einer Verzögerung beim Erreichen ihres Endziels führen, darum lässt sie ihre Wut an euch beiden aus. Und sie weiß, dass Ashur der Schwächere ist. Sie misshandelt ihn, um mich unter Druck zu setzen.«
Glühender Hass fraß sich durch jeden Muskel in Tariqs Körper. Die Zauberin würde es nicht bei Ashur bewenden lassen. Sie würde nicht aufhören, ehe Tariq ein für alle Mal vor ihr kapitulierte.
Er dachte an Mira. An das Geschenk, das sie ihm gemacht hatte. An ihren Wunsch. An seinen Rückzieher und seine Warnung an sie, von diesem Wunsch Abstand zu nehmen. Zoraida hatte ihn dabei beobachtet. Der Feuerbrand-Opal gewährte ihr Einblick aus der Vogelperspektive. Doch statt ihre Wut an ihm auszulassen, tobte sie sich an seinen Brüdern aus – weil sie wusste, dass ihm das schlimmere Wunden zufügen würde als jede Geißelung.
»Ich weiß nicht, wie viel mehr er noch aushalten kann«, sagte Nasir sanft. »Und sollten wir alle drei hier drinnen umkommen ...«
Tariq spannte das Kinn an. Plötzlich ging es nicht mehr nur um Miras Seele. Falls sie alle umkamen, gäbe es keinen Erben ihres Königreichs mehr. Ihr Vater würde nicht mehr sehr lange regieren können. Er war schon vor zehn Jahren bereit gewesen, das Zepter an Tariq zu übergeben, aber sein Sohn hatte sich eine letzte Erkundungstour erbeten. Er wollte an der Klippenküste ein letztes Mal den Duft der Freiheit schnuppern, bevor er von den Pflichten am Hof in Beschlag genommen wurde. Es war eine egoistische Entscheidung gewesen, die er heute tief bereute.
»Sie kann nicht verlieren, Bruder«, sagte Nasir in die Stille hinein. »Sobald sie uns vernichtet hat, wird sie ihre Aufmerksamkeit auf Gannah richten. Nachdem die Ghule unter ihrem Kommando stehen, mit ihrer Macht und ohne uns, als Anführer der Heere ...«
Nasirs Stimme verklang, aber er musste den Satz nicht zu Ende bringen, damit Tariq verstand, worauf er hinauswollte. Falls das, was sein Bruder gesagt hatte, der Wahrheit entsprach — dass Zoraida sich mit den Ghulen verbündet hatte —, dann hieß das, dass sich die Kriegslage zuspitzen würde. Wenn alle drei Prinzen — Generäle der gannahischen Armee — tot wären und der König weiter kränkelnd, woher sollten die Soldaten dann noch ihre Zuversicht nehmen? Wie lange könnte sich Gannah realistisch ohne eine regierende Monarchie verteidigen?
Die Konsequenzen seiner Handlungen tobten durch Tariqs Kopf. Entscheidungen, die er niemals hätte treffen dürfen, füllten seine Gedanken und paarten sich mit Bildern von Mira an diesem tahitischen Strand. Hinzu kam die Erkenntnis, das Zoraida klüger war, als er ihr zugetraut hatte. Folter war eine Sache. Eine Entscheidung zwischen Leben und Tod treffen zu müssen, eine völlig andere. Besonders wenn man selbst derjenige war, dem kein anderer Ausweg blieb, als Verderben über eine Person zu bringen, um tausend andere zu retten.
»Was wirst du tun?«, fragte Nasir in das Schweigen
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