Lust und Gefahr
»Sei nicht albern.«
»Hey. Wach auf. Du bist derjenige, der einen Serienkiller gejagt hat«, sagte Robin. »Und ich bin ohne Einladung hierhergekommen. Im Übrigen …«
»Halt den Mund, Robin. Du nimmst die Schlafcouch. Hol die Schlafsäcke.«
Nachdem sie davongeeilt war, ging er ins Wohnzimmer und mühte sich mit der Couch ab, bis er sie ausgeklappt hatte. Kurz darauf kam Robin mit Kissen und Schlafsäcken zurück. Ohne ihn anzusehen, reichte sie ihm eines der Kissen und einen Schlafsack. Er hatte sie zum Schweigen gebracht.
Er hätte froh sein sollen. Es war die einzige Möglichkeit, das alles zu überstehen.
Regungslos saß Julia auf dem Stuhl neben dem Telefontischchen. Benommen starrte sie auf den Anrufbeantworter. Sie konnte es nicht begreifen. Es war unmöglich. Nicht William. Sie hatte ihn doch gerade erst gesehen, mit ihm gesprochen. An diesem Nachmittag, im Gefängnis. Die verhängnisvolle Nachricht war auf dem Anrufbeantworter gewesen, als sie nach der langen Heimfahrt das Luxusanwesen in der Wüste betreten hatte, in dem sie mit William gelebt hatte. William hatte sehr viel Geld gehabt.
Wie in Trance streckte sie den Arm aus und drückte den Play-Knopf des Anrufbeantworters.
Klick. Wieder ertönte die Aufzeichnung. Die Worte prasselten auf sie ein wie Steine, rissen Wunden, brachen Knochen. »Hallo, dies ist eine Nachricht für Ms. Julia Kirkland«, erklang die sachliche, nasale Männerstimme. »Ich bin Bob Bruckner, Mitarbeiter im juristischen Team von William Geddes. Ich habe leider schlechte Neuigkeiten. Mr.
Geddes ist heute Nachmittag gestorben. Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass er sich das Leben genommen hat. Er hat eine Flasche mit desinfizierender Handseife aus dem Spender im Waschraum getrunken. Das Ethanol hat seine Atemorgane gelähmt. Mr. Geddes hat eine Notiz hinterlassen, in der er darum gebeten hat, Sie zu informieren. Deshalb rufe ich an. Mein herzliches Beileid, Ms. Kirkland. Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, rufen Sie mich unter folgender Nummer an.« Bruckner leierte eine Telefonnummer herunter und zögerte, als wollte er noch etwas sagen. Stattdessen ließ er ein verlegenes Grunzen hören. Klick.
Julia presste die Hand an die schwere Seide ihrer weißen Kostümjacke von Gucci, presste sie fest an die wunde, leere Stelle in ihrem Innern. Tot. Ihr William war tot. Ihre Finger umklammerten den Stoff der Jacke, und sie ballte die Hand zu einer blassen, zitternden Faust. Sie hätte niemals gedacht, dass er ihr das antun würde. Sie war sich so sicher gewesen, dass er einen Weg finden würde, um zu fliehen. Er war so klug, so unbezwingbar.
Sie schloss die Augen und sah wieder alles vor sich. Jedes Detail des Nachmittags. Von dem Moment an, als sie ihn in die Kabine mit der Glasscheibe geführt hatten. Er hatte so bleich ausgesehen. Eingefallene Wangen, Schatten unter den Augen. Die orangefarbene Anstaltskleidung und die hellen Neonröhren hatten seiner Haut einen bläulichen Schimmer verliehen. Und die Blutergüsse und Wunden! Irgendjemand hatte ihn verprügelt! Es machte sie so zornig, dass ihr schlecht wurde.
Nur in seinen Augen war noch immer das Feuer gewesen. Er hatte sie mit seinem Blick fixiert.
Er war so mutig und edel gewesen und hatte für alles, was sie gemeinsam getan hatten, den Preis gezahlt. Er hatte ihr verboten, sich einzumischen oder ein Geständnis abzulegen. Er hatte darauf bestanden, dass sie der Gerichtsverhandlung fernblieb. Es hatte sie beinahe umgebracht.
Sie wäre für ihn gestorben. Sie hätte alles für ihn getan.
»Du musst weitermachen«, hatte er gesagt. »Du musst jetzt für uns beide fliegen.«
Bei dem Gedanken daran musste sie weinen. Doch William hatte Tränen verabscheut, also drängte sie sie zurück. Sie hatten die Telefonhörer in die Hand genommen, aber keiner von ihnen hatte gesprochen. So viele Dinge konnte man in Worten nicht ausdrücken – vor allem nicht, wenn andere Menschen zuhörten. Andere Dinge waren zu offensichtlich, als dass man sie hätte aussprechen müssen. Wie sehr es ihr das Herz zerriss, ihn so zu sehen, zum Beispiel. Oder wie sehr sie sich wünschte, an seiner Stelle zu leiden und ihn zu erlösen. Der schlimmste Schmerz war süß, wenn man ihn für die Liebe erduldete.
William hatte ihr das in den acht Jahren, die sie zusammen gewesen waren, beigebracht.
Sie war gerade siebzehn Jahre alt gewesen, als er sie gefunden hatte. Damals war sie Cheerleaderin bei einem Football-Spiel ihrer Highschool
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