Lust und Gefahr
weiß um die Iris. Sie starrten ins Nichts, weinten blutige Tränen, die über ihr verzerrtes Gesicht rannen … Jon schreckte hoch, unterdrückte einen Aufschrei. Hektisch blickte er sich um und versuchte, sich zu orientieren. Die Hütte. Die Küche. Robin. Geddes und das Desinfektionsmittel. Gott. Nur ein Traum. Einer der schlimmeren.
Es wurde nicht besser, und das verstand er nicht. Normalerweise hatte er ein dickes Fell. Beinahe alles, was ihm zu nahegehen könnte, ließ er an sich abprallen. In Kinderheimen aufzuwachsen hatte ihn tough gemacht, belastbar. Er wusste, wie er sich schützte. Er ließ nichts und niemanden an sich heran – er wusste es besser. Aus Gewohnheit hielt er den Rest der Welt auf Abstand. Für ihn hatte das funktioniert. Immer.
Und auch in seinem Job als Polizist hatte diese Strategie Erfolg gehabt. Er war nicht kalt oder gefühllos. Er war nur abgeklärt. Die Opfer hatten Psychologen, die ihnen Mitgefühl entgegenbrachten. Einfühlungsvermögen war nicht sein Job – zum Glück. Sein Job war es, die Mistkerle zu jagen, zu stellen und einzusperren. Er musste sie daran hindern, weiterzumachen.
Also wie gelang es dem »Vogelei-Mann«, noch vom Grab aus auf ihn einzuwirken? Er fühlte sich verletzt. Hilflos. Ein Gefühl, das er von ganzem Herzen hasste. Er zwang sich, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen – egal, wie abwegig sie auch waren. Vielleicht hatte er einen Nervenzusammenbruch. Stress. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass es einem Kerl wie ihm passieren könnte, aber wie sonst hatte er sich dazu hinreißen lassen, mit Robin rumzumachen? Er verlor den Verstand. Das war die einzige Erklärung.
Sein Herz raste nach diesem Alptraum noch immer. Er versuchte, tief durchzuatmen, sich zu beruhigen, doch es gelang ihm nicht. Er drehte sich um und blickte zum Schlafsofa, das im Schein des langsam erlöschenden Feuers kaum zu erkennen war. Das jungfräuliche Opfer.
Zum Teufel. Sie würde nicht merken, dass er sie anstarrte. Er schlich sich ins Nebenzimmer und betrachtete sie. Eingekuschelt in den Schlafsack lag sie auf der Couch. Das Sweatshirt war ihr über die Schulter gerutscht. Ihre Haut war so zart, so hübsch. Sie war süßer als süß. Das machte alles nur noch schlimmer.
Er ging zurück in die Küche, holte sich einen Stuhl und trug ihn ins Wohnzimmer. Leise setzte er sich neben die Couch. Verdammt, er konnte sowieso nicht schlafen.
Und hier zu sitzen beruhigte ihn.
Solange er sie beobachtete, konnte niemand ihr etwas antun.
Der Traum war wundervoll sinnlich. Lustvolle Schauer durchzuckten sie, als sie sich an Jons Körper schmiegte. Aber sie wusste, dass es nur ein Traum war. Irgendetwas schien von außen an ihr zu zerren, schien sie auf etwas aufmerksam machen zu wollen. Es war eine drängende, angstvolle Ahnung. Jemand brauchte sie.
Ihr Schlaf wurde leichter, sie kam langsam an die Oberfläche und nahm den Geruch von Mottenkugeln und Schimmel, von Rauch und Kiefernharz wahr. Und das Gefühl zwischen ihren Beinen. O Mann.
Alles stürzte wieder auf sie ein. Sie schlug die Augen auf, und mit einem Mal wurde klar, was der Grund für ihre Ahnung war.
Jon saß auf einem Stuhl neben der Schlafcouch. Er trug nur eine Jeans und ein kleines, goldenes Medaillon, das um seinen Hals baumelte. Ein Schauer überlief sie, als sie seinen intensiven Blick auffing. Kein Lächeln. Im Gegenteil. Er wirkte angespannt.
Robin setzte sich auf. »Jon? Geht’s dir gut?«
Er schüttelte den Kopf.
Robin betrachtete ihn. Sie sehnte sich danach, die Hand nach ihm auszustrecken, aber sie erinnerte sich nur zu gut an seine Zurückweisungen. Und trotzdem schien er endlich nachzugeben. Nicht auf eine leichte, spielerische Art – so viel war sicher. Doch er sah aus, als bräuchte er etwas. Und sie brauchte es auch.
Sie ahnte, dass es anders werden würde als in ihren mädchenhaften Phantasien. Wie auch immer. Sie war flexibel.
Sie schwang die Beine vom Sofa, öffnete den Reißverschluss des Schlafsackes und breitete ihn über die Matratze. Dann ging sie zu dem Sessel, auf dem sie ihre Tasche abgelegt hatte, und wühlte darin herum, bis sie das Beutelchen mit den Kondomen gefunden hatte. Sie öffnete es, nahm eines der Kondome heraus, hielt es zufrieden hoch und ging zurück. Jetzt war sie vorbereitet.
Er sagte kein Wort. Seine Miene war undurchdringlich.
Mit einem tiefen Atemzug legte sie es auf das Schlafsofa neben das Kissen. Das Schweigen nahm sie als eine stumme Zustimmung – sie
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