Lustig, lustig, tralalalala
und plötzlich soll ich’s dann gewesen sein.» Entsetzt schüttelteder Wolf erneut das Grauhaar und klemmte den Schwanz zwischen die Beine.
«Hey, ganz ruhig, Alter.»
«Also, willst du damit sagen, dass die jahrelangen Anschuldigungen rund um deine Person auf einem reinen Missverständnis beruhen?» Die Stiefmutter hatte ihre Verzweiflung vergessen und tauschte sie gegen Neugierde. Sie sah den Wolf mit dem strengen Blick einer Domina an, die keine Ausreden gelten ließ.
«Ja, natürlich!», antwortete der Wolf. «Rotkäppchen ist damals von einem fiesen Verbrecher im Wald angegriffen worden und war schwer verletzt. Nur weil ich aufgetaucht bin, hat der Kriminelle das Weite gesucht. Da sich aber Rotkäppchen im Nachhinein an nichts mehr erinnern konnte und der Jäger Plötzke meine Spuren auf dem Waldboden entdeckt hat, war die Sache für die Öffentlichkeit klar. Dabei hätte man nur eins und eins zusammenzählen müssen. Wir Wölfe sind scheue Tiere, wir würden nie einen Menschen angreifen.»
«Aber wieso warst du denn überhaupt in der Nähe?», fragte die Stiefmutter.
«Die Großmutter hatte mich in ihr Haus gelockt. Sie war mal wieder einsam und wollte mich mit Wein abfüllen. Irgendwie krank. Ich versuche mir seit Jahren einzureden, sie wollte vielleicht einen Schoßhund. Mein Kumpel meinte, sie wollte noch ganz andere Dinge. Alt und durchgeknallt eben.»
«Und du hast niemals versucht, den Irrtum aufzuklären, obwohl du der Held warst?»
«Wieso sollte ich? Das Fernsehen steht eh mehr auf die gescripteten Geschichten mit Happy End und Vaterschaftstest. Und wir Wölfe? Wir sind mittlerweile sowieso aus den meisten Gebieten vertrieben worden. Irgendwie trägt die ganze Sachemit Rotkäppchen ja auch dazu bei, dass man uns ein wenig Respekt zollt. Bis auf ein paar Kranke, die mit dem Schießgewehr hinter uns her sind. Aber für viele meiner Kollegen ist so etwas noch besser, als irgendwo als Haustier in einer Zweizimmerwohnung zu landen. Auch das ist Tierquälerei.»
«Ja, das kenne ich. Schneewittchen hat ja damals auch behauptet, ich wollte ihr Leid zufügen. Dabei war der Apfel nicht vergiftet. Aber Kindern kann man es ja nie recht machen, wenn es um Vitamine geht. Und noch dazu war ich ja die Neue an der Seite ihres Vaters. Da hat Daddys Liebling mich einfach gegen ihn ausgespielt. Eben ein eifersüchtiger Teenager mit großem Hang zur Dramatik! Die schlimmsten Dinge hat sie erfunden. Sie hat selbst dann nicht lockergelassen, als sie selber geheiratet hat. Zum Glück hatte ich damals einen guten Anwalt, sonst säße ich wahrscheinlich heute noch im Knast. Und dank Botox sieht man auch nichts mehr von den Sorgenfalten.»
«Ach, du bist die Stiefmutter von Schneewittchen? Cool! Wir waren mal zusammen in einer Klasse. Sie hatte ’nen Gürtel von dir an. Du musst mir verraten, wo du den herhast?», trällerte die Prinzessin begeistert.
«Ja, ja, später. Jetzt würde ich doch gerne noch unser kleines Problem lösen», unterbrach sie die Stiefmutter harsch.
«Aber nicht, bevor wir hier nicht eine kleine Party gefeiert haben. Mit vollem Magen denkt es sich besser. Und feiern entspannt, weil man Zeit mit netten Menschen verbringen kann, und das lenkt von all den Sorgen ab, die man sonst so hat. Außerdem sollten wir die Situation ausnutzen.» Die Prinzessin wirkte plötzlich wie ausgewechselt. Partys waren schließlich ihr Fachgebiet.
«Das ist mal eine richtig gute Idee. Ich habe schon lange keinFest mehr gefeiert!» Die Hexe strahlte über beide Backen und schnappte sich einen Einkaufswagen.
«Aber sollten wir nicht lieber an einer sinnvollen Lösung arbeiten?» Die Stiefmutter hatte immer noch Zweifel.
«Partys zu feiern ist sinnvoll!» Die Prinzessin war Feuer und Flamme.
«Okay», lachte die Stiefmutter, «ich merke schon. Widerstand ist hier zwecklos.»
Der Wolf, die Hexe, Stiefmutter und Prinzessin stoben in unterschiedlichste Richtungen, um die Regale zu durchsuchen. Während die Prinzessin sich zielstrebig in die Bekleidungsabteilung begab, hamsterte die Knusperhexe, wie erwartet, natürlich in der Delikatessenabteilung und türmte Lachs, Baguettes, Kaviar, aber auch Torten, Knabberzeugs und jede Menge Schokolade und Zuckerzeug in ihrem Einkaufswagen.
Der Wolf suchte in der Unterhaltungsabteilung die nötige musikalische Untermalung. Mit Ghettoblaster und einem Stapel CDs im Maul kehrte er zum Treffpunkt zurück, wo die Stiefmutter bereits Girlanden, goldene Sterne, rote Glaskugeln
Weitere Kostenlose Bücher