Lustig, lustig, tralalalala
Macht der Süßwarenindustrie.»
«Ach, was soll’s! Ich finde, wir sollten trotzdem was zusammen singen. Weihnachten, Chanukka, Weihnukka … Und wer den Text nicht kennt, der summt einfach mit.» Der Wolf drehte den Ghettoblaster leise und setzte sich. Die anderen nahmen ebenfalls im Halbkreis auf dem Boden Platz. Plötzlich herrschte eine richtig gemütliche Stimmung. Die Flammen der Kerzen flackerten im Hintergrund, und eine wohlige Wärme breitete sich im Kaufhaus aus. So saßen also die Knusperhexe, die Stiefmutter, die Prinzessin und der Wolf zusammen und sangen ein Weihnachtslied nach dem anderen, bis sie langsam müde wurden. Irgendwann waren alle ruhig und hingen ihren Gedanken nach.
«Meine Mutter hat mir früher immer Geschichten erzählt, damit ich einschlafen konnte», brach die Prinzessin das allgemeine Schweigen.
«Das heißt, wir sollen dir jetzt auch eine Geschichte erzählen, oder was?», fragte die Stiefmutter nun doch wieder etwas genervt. Sie selbst hatte noch nie eine Geschichte erzählt. Wenn überhaupt, dann hatte sie ein wenig an der Wahrheit gedreht. «Werd erwachsen, Kleines. Das Leben ist kein Ponyhof, auchwenn du nach wie vor den Intellekt einer
Wendy
-Abonnentin hast!»
«Nein, aber jeder könnte etwas von sich erzählen. Das wird doch sicher recht spannend. Genauso wie früher im Ferienlager.»
«Bei uns gab es da eher Gruselgeschichten. Willst du gleich anfangen, Prinzesschen? Ich kann mir vorstellen, was dein schlimmster Tag bisher war: Ein Fingernagel ist abgebrochen, ohhhh …» Die Knusperhexe kicherte.
«Nein, erzähl du doch einfach etwas von dir!», warf der Wolf hastig ein und nickte der Hexe aufmunternd zu. Angriff war eben manchmal doch die beste Verteidigung.
Die Hexe schaute skeptisch in die Runde. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Sie redete zwar irrsinnig gerne, aber meistens nur mit sich und nicht über sich selbst. Zwischenmenschliche Kommunikation war nicht unbedingt ihr Steckenpferd. Insbesondere, weil sie in den letzten Jahren in der Einöde dazu tendiert hatte, die Realität mit allerlei phantastischen Geschichten aufzupeppen. Sie griff in die Schachtel mit den Rumkugeln und ließ sich besonders viel Zeit mit dem Kauen. Dann gab sie sich doch einen Ruck.
«Was soll’s. Ich sehe euch eh nie wieder, dann kann ich ja mal … Also, vor vielen, vielen Jahren kam ich an einen Punkt im Leben, da wurde mir alles zu viel. Ich hatte damals eine sehr gutgehende Bäckereifirma mit mehreren Filialen, ich gab die toughe Geschäftsfrau und die sexy Ehegattin. Alles schien perfekt. Wir haben sogar einmal im Jahr die Kinderheime im Land mit leckeren Backwaren beliefert. Ich fand es toll. Gutes tun und Gutes zurückbekommen. Alle hielten meinen Mann und mich für DAS Vorzeigetraumpaar! Aber das schien alles nicht genug zu sein. Wir wurden einfach nicht glücklich. ERwar nicht glücklich. Mein Mann wollte eigene Kinder, ich nicht. Eines Tages brannte er mit irgend so einer hellblonden Thekenschlampe durch. Ihr wisst schon: keine eigene Meinung, dafür zwei große Semmeln unterm Blüschen. Und bei mir sind die Sicherungen durchgebrannt. Ich habe von morgens bis abends Süßes in mich hineingestopft, und irgendwann bin nicht mehr zur Arbeit gegangen. Es ging rapide bergab. Ich war weder sexy noch erfolgreich, und dennoch … Eines Tages bot mir eine ausländische Firma noch etwas Geld für mein Unternehmen. Ich habe alles verkauft, was ich hatte, und bin in den Wald gezogen, fernab von irgendwelchen Menschen. Doch die Kinder schienen mich zu vermissen. Sie fanden mein Versteck heraus, und ab und zu hatte ich nette Gesellschaft. Ich gab ihnen Kuchen, sie unterhielten mich, behielten aber mein geheimes Häuschen für sich. Eigentlich war das eine sehr schöne Zeit. Kinder lieben einen ja nicht aufgrund des Aussehens. Sie sehen mit dem Herzen. Das ist gut. Aber nicht alle Kinder tun das. Eines Tages kamen auch Hänsel und Gretel zu mir ins Knusperhäuschen. Sie hatten gehört, dass ich wohl außer Süßem noch über eine Menge Geld verfügen solle. Und so haben sie mich erpresst. Ich hätte nie gedacht, dass die Polizei ihnen glauben würde. Sie lockten mich in einen Hinterhalt, zum Glück konnte ich gerade noch entkommen. Doch seitdem halte ich mich von Kindern fern. Die Industrie hat ihre Seelen verseucht. Man kann ihnen nicht mehr trauen.»
Betretenes Schweigen herrschte, als die Hexe ihre Erzählung beendet hatte.
«Nicht alle Menschen sind
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