Lustnächte
Ausschweifungen los.
Madame Junot erwies sich auch weiterhin als wandelndes Archiv. Während sie Pierre und Beatrix mit frischgebackenem Weißbrot und selbst gemachter Marmelade verwöhnte, fragte er sie nach dem Grab, das Abbé Saunière gefunden haben sollte. Natürlich wusste sie Bescheid.
„Es muss irgendwann im Herbst gewesen sein, als er gerade mit den Renovierungsarbeiten an unserer Kirche angefangen hatte. Soviel ich weiß, war es kurz bevor Bischof Billard ihn damals nach Paris schickte. Lassen Sie mich mal überlegen.“
Madame Junot rührte in ihrer Tasse.
„Ja, genau, so war es. Er unterbrach damals die Renovierungsarbeiten für ein oder zwei Wochen. Er hatte nachts auf dem Friedhof gearbeitet.“
„Also war es ein Grab auf dem Friedhof“, warf Pierre ein.
„Natürlich, wo denn sonst? Also, Marie hat ihn erwischt, als er esöffnen wollte. Gemeinsam mit dem Bürgermeister. Daraufhin musste er die Arbeiten auf dem Friedhof einstellen, weil ihm eine Anzeige bei der Präfektur drohte. Aber die Grabinschrift hatte er bereits zerstört. Und außerdem hatte er gerade einen ordentlichen Streit mit Marie. Sie war sogar aus dem Pfarrhaus ausgezogen und zu ihrer Mutter gegangen. Aber nehmen sie doch noch ein Scheibchen Brot, meine Liebe.“
Der letzte Satz war an Beatrix gerichtet, doch sie lehnte ab.
„Aber ich bitte Sie, Madame LeBreton. Sie essen wie ein Vögelchen. Dabei müssen Sie doch jetzt für zwei essen.“
Damit legte Madame Junot ihr noch eine Scheibe Brot auf den Teller, schob ihr Butter und Marmelade hin und goss ihr Tee nach. Beatrix lächelte mit zusammengebissenen Zähnen. Deshalb also heute Morgen Tee statt Kaffee. Nachrichten verbreiteten sich erstaunlich schnell in diesem Dorf, dachte Pierre und ignorierte Beatrix’ bösen Blick. Er versuchte, sich auf das Thema zu konzentrieren. Scheinbar hatte Saunière etwas in der Kirche gefunden, was ihn auf das Grab der Marquise d’Hautpoul aufmerksam gemacht hatte. Es konnte sich um kein anderes handeln, wenn Madame Junot sagte, er habe die Inschrift bereits zerstört. Und der Streit mit Marie mochte daraus hervorgegangen sein, dass er sie nicht in diese Sache hatte einweihen wollen. Also hatte sie sich mit dem Bürgermeister zusammengetan, um ihm zu schaden. War der Bürgermeister ebenfalls ein Beteiligter? Oder hatte Marie ihm lediglich gesteckt, der Abbé sei dabei, Leichenfledderei zu betreiben, um Saunière unter Druck zu setzen? Das Letzte, was er hatte brauchen können war eine Anzeige, die vielleicht seine erneute Versetzung zur Folge gehabt hätte.
„Können Sie mir auch sagen, wer Cros war?“
„Cros?“, fragte Madame Junot verständnislos.
„Ja, er könnte ein Bekannter von Abbé Saunière gewesen sein. Vielleicht ebenfalls ein Pfarrer aus der Gegend.“
„Oh, da fällt es mir wieder ein. Nein, Cros war kein Pfarrer. Er war zu der Zeit Generalvikar. Gleich nach Bischof Billard die höchste kirchliche Autorität in der Diözese. Ich glaube kaum, dass der Abbé näheren Kontakt mit ihm hatte. Genauso wenig wie mit dem Bischof. Höchstens dann, wenn er etwas angestellt hatte, wofür er sich verantworten musste. Dann musste er sich vor einem der beiden rechtfertigen.“
„Dann hat er sie ja wohl des Öfteren gesehen“, sagte Pierre.
„Nun, ich habe Ihnen ja schon von dem nicht immer einwandfreien Lebenswandel unseres Pfarrers erzählt.“
„Dann kann man davon ausgehen, dass sie nicht seine Freunde waren wie Boudet und Gélis“, kam Beatrix auf die Bekannten des Abbé zurück.
„Nein, ganz gewiss nicht. Noch ein Scheibchen Brot, meine Liebe?“
„Iss nur, mein Schatz“, sagte Pierre und wandte sich grinsend wieder der alten Dame zu. „Möglicherweise muss sie nicht nur für zwei, sondern für drei essen.“ Er zwinkerte ihr mutwillig zu.
„Oh, Zwillinge?“
Bevor Beatrix explodieren konnte, schob er eilig seinen Stuhl zurück. „Wir müssen los. Wir möchten heute die Ruinen von Schloss Blanchefort besichtigen.“
„Ja, das Wetter ist wirklich wunderbar. Überanstrengen Sie sich bloß nicht.“
„Ich werde vorsichtig sein“, versprach Beatrix, aber er hörte sie mit den Zähnen knirschen.
„Übrigens habe ich mit einer lieben Freundin in Rennes-les-Bains telefoniert. Sie ist eine Großnichte von Pfarrer Boudet. Sie sagte, wenn es Sie interessiert, auch über ihn etwas zu hören, sind Sie herzlich eingeladen. Ich habe Ihnen die Adresse aufgeschrieben.“ Umständlich kramte die alte Dame einen Zettel
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