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Lustnebel

Lustnebel

Titel: Lustnebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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Einladung bei den Nachbarn“, plauderte sie erfreut. Im nächsten Moment erkannte sie, wie formlos sich ihr eigenes Benehmen erwies. Und dass es höchste Zeit wurde, wieder in der Gesellschaft zu verkehren. Obwohl Alice vermutlich kaum ihre Busenfreundin werden würde, freute sie sich über die Einladung. Sie schenkte Cains finsterer Miene keine weitere Beachtung und wandte sich den Arbeitern zu.
     
    Frohgemut wanderte Rowena die Straße entlang. Durch die ganzen Arbeiten in und an Barnard Hall hatte sie seit Wochen keine Zeit für ihre gewohnten, ausgedehnten Spaziergänge gefunden. Die Einladung zu den Cuthberts nahm sie als willkommenen Anlass, dorthin zu laufen. Von der Fahrt nach Finsthworth wusste Rowena, dass das Haus der Cuthberts am Fuße einer Schlucht lag. Der schnellere Weg führte sie querfeldein, und so verließ sie an einer günstigen Stelle die Straße und kletterte einen Abhang hinunter. Dort unten wuchsen Bäume und Büsche und formierten sich zu einem Wäldchen. Dichte Farne und ein ansehnlicher Moosteppich bedeckten den Boden und dämpften jedes Geräusch.
    Die letzten Meter schlidderte Rowena abwärts und konnte sich vor einem Sturz nur bewahren, indem sie Halt an einer Weide fand. Sie seufzte erleichtert und verschnaufte einen Moment lang. Hier unten war es kühl. Die Luft, geschwängert von Harz und Pflanzenaromen, erwies sich als feucht. Automatisch strich Rowena über ihre Frisur, obwohl sie ahnte, dass es sich als sinnlos erwies. Ihre Haare würden sich bei ihrer Ankunft bei Alice Cuthbert wild kräuseln wie die einer Kräuterhexe. Sie setzte ihren Weg fort, vorbei an Laubbäumen und Stauden, deren Nordseiten mit dickem Moos überwuchert waren. Sie hielt sich am Rand des Waldes, doch als der Weg unwegsamer wurde, entschied sie sich, den Wald zu durchqueren.
    Im Schatten der Bäume war es kalt. Ihr Atem bildete Dampfwolken, die ebenso dicht schienen wie der Nebel, der aus dem Boden aufstieg. Eigentlich hätte Totenstille herrschen müssen, doch aus der Waldmitte drang eine leise Stimme. Der monotone Klang hatte etwas von einer Beschwörung an sich, und Rowena glaubte, Chaytons Stimme zu erkennen. Sie folgte dem Geräusch vorsichtig, bis sie eine Lichtung vor sich sah. Zwischen den Sträuchern erkannte sie eine dunkle Gestalt. Sie näherte sich im Schutz von Bäumen und Buschwerk und wollte unbemerkt die Szenerie beobachten, die sich dort abspielen mochte.
    Auf der Erde lag ein Hirsch. Ein prachtvolles Tier mit goldbraunem Fell und einem starken Geweih. Seine dunklen Augen starrten blicklos ins Leere.  Der unzweifelhafte Grund dafür war ein Pfeil, der aus seiner Brust ragte. Nebelschleier krochen aus dem Waldboden über den noch dampfenden Körper des Tieres. Die Dunstfetzen hüllten das Wild in die Maskerade des Unwirklichen. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch Chayton, der über dem niedergestreckten Wild stand. Sein schwarzes Haar hing wild und offen herab, eine dünne Strähne geflochten und mit Federn und bunten Perlen geschmückt. Auf seiner Wange befanden sich Zeichnungen, und um die Exotik seiner Erscheinung komplett zu machen, trug er nur helle Wildlederhosen, an deren Gürtel ein Messer hing.
    Er schien zu beten, wenigstens klang seine Intonation danach.
    Wäre Chayton ihr fremd gewesen, Rowena wäre schreiend geflohen. So aber verharrte sie und betrachtete ihn. Die ganze Szene wirkte fremdartig, friedlich, beinahe feierlich. Er bückte sich und legte seine Hand auf den muskulösen Hals des Tieres. Obwohl Rowena seine Worte nicht verstand, war sie überzeugt, dass er dem Hirsch dankte.
    Sie runzelte die Stirn. Er bedankte sich bei dem Wild, das er erlegte?
    Sie erinnerte sich, was er ihr erzählt hatte. Dass Bäume, Blumen und Tiere, selbst Steine, Wind, Wasser, Feuer und Erde mit den Menschen eine Familie bildeten. Damit erschien es Rowena logisch, dass er dem gejagten Tier Respekt zollte. Eine Empfindung überrollte sie, ähnlich jener, die sie bei ungewöhnlich feierlichen Gottesdiensten heimsuchte. Unsicher, was sie tun wollte, zögerte sie, bis Chayton seinen Kopf hob und sie in ihrem Versteck ausmachte. Er blickte sie ohne Regung an, um nach einem intensiven Augenkontakt, der nichts von seinen Gefühlen verriet, seine Konzentration zurück auf seine Zeremonie zu lenken.
    Einen Moment hielt Rowena inne, dann entschied sie, sich zu entfernen und ihren Weg nach Greystone Cottage, dem Haus der Cuthberts, fortzusetzen.
    Sie kam atemlos, aber zufrieden am Anwesen ihrer

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