Lustvolles Erwachen
gemacht hatte.
Doch in dem Moment, als er die Augen aufgemacht und Miss Grace Fairchild in seinem Bett gefunden hatte, hatte sich alles verändert. In seinem neuen Leben war das schlechte Gewissen sein ständiger Begleiter geworden. Scham, Reue, Abscheu. Es hatte ihm ganz und gar nicht gefallen, sich plötzlich um eine Ehefrau kümmern zu müssen. Er hatte sich wie wahnsinnig darüber geärgert, dass sie ihm aufgezwungen worden war. Und trotzdem ertappte er sich immer öfter bei dem Gedanken, mehr Zeit mit ihr verbringen zu wollen. Ihm fiel kein schönerer Klang ein als Grace’ Lachen. Und er kannte keinen reizenderen Anblick als Grace, die mutig und verwegen auf ihrer Stute über einen Zaun sprang.
Er hatte keine Bindung zu ihr aufbauen wollen. Himmel, er hatte nur seine Pflicht tun und dann einen Weg finden wollen, sich elegant aus der Affäre zu ziehen. Aber sie war ihm ans Herz gewachsen. Sie hatte außergewöhnlichen Mut, unerwarteten Geist und einen messerscharfen Verstand gezeigt. Sie hatte sich angestrengt, um ihm das Leben so angenehm wie möglich zu machen, und hatte im Gegenzug nichts verlangt. Ihr war es sogar gelungen, nicht nur aus seinem Diener, sondern auch aus seinem Pferd hingebungsvolle Untergebene zu machen.
Er konnte sie nicht als Märtyrerin bezeichnen. Noch nie hatte er sie gequält seufzen hören oder mitleiderregend dreinblicken sehen. Sie hatte ihn für sein Verhalten nie zur Rechenschaft gezogen – und das machte es für ihn noch schlimmer.
Zur Hölle mit ihr. Er konnte sie noch immer nicht als schön bezeichnen. Nicht einmal als hübsch. Doch durch ihre Ehrlichkeit, ihren Humor und ihre Treue war sie verlockend. Sie war – Gott im Himmel – erregend.
Er schüttelte den Kopf und musste lächeln, als er sich daran erinnerte, wie sie blutend und mit Schlamm beschmiert gelassen erklärt hatte, dass nach allem, was sie durchgemacht hatte, der Anblick ihres eigenen Blutes sie in Ohnmacht fallen ließ. Wäre es nicht wundervoll, noch einmal einen Blick hinter diese einzigartig besonnene Fassade werfen zu dürfen?
Wagte er es? Drake würde sagen, dass er Grace in Gefahr bringen würde, wenn er ihrem Wunsch entsprach. Diccan wusste, dass Drake recht hatte. Aber würde eine Nacht den Ausschlag geben? Sie hatte ihm nicht ihre Liebe beteuert. Sie hatte nur darum gebeten, Erlösung zu finden. Konnte er diesem Wunsch nachkommen, ohne ihr das Gefühl zu geben, sie würde ihm etwas bedeuten?
Als er eine gute Stunde später die Stufen zum White Club erklomm, hatte er noch immer keine Entscheidung getroffen.
Niemand, der Grace bei der Zusammenkunft bei den Wildes sah, hätte sie als besonders aufgewühlt bezeichnet. Sie lächelte und unterhielt sich mit den anderen Gästen und trank mit ihren Grenadieren Champagner. Sie lachte mit Kate und ging mit Chuffy Wilde und seinem Bruder Brock spazieren, dem sie – laut Chuffy – nach der Schlacht von Croydon das Leben gerettet hatte.
»Ein paar Jahrhunderte später«, sagte der gut aussehende blonde Brock.
»Ach, stimmt«, entgegnete Chuffy mit einem triumphierenden Lächeln. »Coruña.«
Brock lächelte. »Ciudad Rodrigo, um genau zu sein.«
Chuffy wirkte niedergeschlagen. »Verdammt. Jetzt muss ich mir etwas Neues überlegen.«
Diccan tauchte nicht auf. Die Leute unterhielten sich sogar in Grace’ Anwesenheit offen darüber, wie selten er an ihrer Seite gesehen wurde. Chuffy und Brock beschützten sie, Lady Bea sang ein kleines Liedchen über einen Seemann und seinen Papageien, und Kate gewann einen Trinkwettbewerb gegen einen ihrer Begleiter. Und Grace, für die all diese Possen veranstaltet wurden, fühlte sich einsamer denn je.
Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie nicht die Wahrheit sagen. Sie konnte nicht unachtsam werden. Sie konnte sich nicht einmal mehr in einer Ecke verstecken. Jeder kannte nun ihren Namen, wusste, wer sie war und wen sie geheiratet hatte. Die meisten hatten sogar schon Partei ergriffen – die feine Gesellschaft stand hinter Diccan, und die Grenadiere unterstützten sie. Sie fühlte sich wie ein Federball und ahnte, dass ihr das Schlimmste noch bevorstand.
Wenigstens befasse ich mich nicht länger damit, was in meinem Boudoir vorgefallen ist , dachte sie, während sie an einem Glas mit warmer Limonade nippte. Ihr Herz schmerzte noch immer wegen der Worte, die gefallen waren, und ihr Körper kribbelte noch immer wegen der Spannung, die zwischen ihr und Diccan herrschte. Doch sie hütete sich davor zu glauben,
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