Lustvolles Erwachen
auf ungezogenen Pferden zu reiten oder zu Fuß zu gehen. Ich ertrage so ziemlich alles, solange ich vor schlechtem Wetter geschützt bin.«
Er schüttelte offensichtlich belustigt den Kopf. »Ich muss mich daran gewöhnen, eine unerschrockene Frau zu haben. Und du musst dich daran gewöhnen, meinen Vornamen zu benutzen. Es würde sehr seltsam wirken, wenn du mich mit derselben Vertrautheit ansprechen würdest wie den Postboten.«
Sie nickte. »Das hat Kate auch gesagt.« Sie konnte nicht anders und musste lächeln. »Obwohl sie ein paar schillerndere Vorschläge hatte, wie ich dich sonst noch nennen könnte.«
Diccan lachte leise. »Das kann ich mir vorstellen.«
Sie hatten sich verabschiedet und gerade die Tür erreicht, als Diccan sie aufhielt. Sie sah ihn an und bemerkte ein Lächeln in seinen Augen.
»Jetzt küss sie schon, du Narr«, murmelte er und wiederholte die Aufforderung, die er in der Kirche gehört hatte.
Grace erstarrte wie ein Kaninchen beim Anblick des Falken. Seine Berührung ließ sie versteinern, und sein Blick wärmte sie. Sie fürchtete, dass ihr das Herz aus der Brust springen würde. Himmel, was würde erst passieren, wenn er sie überall berührte?
»Ja … äh … danke.«
Der Kuss war anders als der letzte. Länger, inniger, bedächtiger. Grace spürte Diccans Finger auf ihrem Gesicht und nahm den leichten Duft von Tabak und Sandelholzseife wahr. Sie schmeckte den Champagner auf seinen Lippen und dachte, wie weich sie doch waren. Wie geschickt, als diese Lippen nun an ihren knabberten, sie reizten, sie prüften, als würden sie sie in Besitz nehmen. Es gab einen Funken, ein Glühen, ein wundervolles Feuer, das in seinen Lippen zu lodern schien und das sich nun in ihr ausbreitete, in ihrer Brust, in ihrem Bauch. Sie fühlte sich, als würde sie dahinschmelzen.
Er spürt es offenbar auch , dachte sie. Wie konnte er es nicht bemerken, wenn dieses Feuer doch so hell brannte?
Abrupt löste Diccan sich von ihr und zog sich zurück. Grace schlug die Augen auf und sah, dass er die Schultern straffte. Seine Miene wirkte ungerührt. Sie war noch immer in den lustvollen Empfindungen gefangen und kam sich klein vor, weil er ihr diesen Kuss geschenkt hatte. Und er hatte nichts gefühlt. Diese Lektion sollte sie sich vermutlich zu Herzen nehmen. Mit einem Schlag verglühte das Feuer zu Asche.
Erst in dem Moment hörte sie das Jubeln um sie herum. Diccan blinzelte, als wäre er unerwartet aus seinen Gedanken gerissen worden, und warf den Zuschauern ein überraschtes, erfreutes Lächeln zu. »Nun, jetzt habe ich den meisten Soldaten im Dienste Ihrer Majestät etwas voraus«, verkündete er und klang triumphierend. »Keiner von Ihnen war klug genug, sich meine Grace zu schnappen, ehe ich es getan habe.«
Ohne auf die Protestrufe zu achten, nickte er den Leuten unbekümmert zu, legte seinen Arm um Grace und führte sie hinaus. Die Abendluft kühlte Grace’ erhitzte Wangen. Das Licht war sanft, sodass selbst der überfüllte laute Hof des Wirtshauses eleganter wirkte, als er es eigentlich war. Die Postkutsche wartete am Rand. Die Tür stand offen, und ein massiger Mann in Livree, der allmählich eine Glatze bekam, verbeugte sich.
Jetzt habe ich ein paar Stunden mit Diccan in einer Kutsche , dachte sie, und wieder schlug ihr Herz schneller. Was würde er tun? Was würde sie sagen?
Offensichtlich nichts, denn Diccan nahm einem Stallburschen eine Satteltasche ab. Ein gesatteltes Pferd stand in einer dunklen Ecke. »Wenn du in London ankommst«, erklärte Diccan und führte sie zur Kutsche, »werde ich alles zu deiner Zufriedenheit arrangiert haben. Versuche, dich ein bisschen auszuruhen, wenn es geht.«
»Du reitest?«, fragte sie dummerweise und blickte in den wolkenverhangenen Himmel hinauf. »Es wird regnen.«
Ein bedächtiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Deshalb reite ich ja. Du weißt doch, wie schlecht die Dover Road ist. Ich kann es mir nicht leisten, im Schlamm stecken zu bleiben. Biddle wird dich begleiten, und er kennt die Straße besser als sämtliche Wegelagerer. Er wird dafür sorgen, dass es dir gut geht.«
Solange wir nicht mitten im Nirgendwo im Schlamm stecken bleiben , dachte sie. Unmut machte sich in ihr breit. Mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange schwang Diccan sich in den Sattel und ritt davon. Sie blieb allein auf dem Hof des Wirtshauses zurück und blickte ihm wortlos hinterher.
Kapitel 5
» Bastún «, zischte Grace.
»Das klingt nicht gerade wie ein
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