Lustvolles Erwachen
Witwen und kleine Schornsteinfegergehilfen zu unterstützen?«
»Natürlich. Kann ich auf eine Spende von dir zählen?«
Irgendwann ging sie wieder. Er sah ihr hinterher und spürte, wie sein Mut sank. Er konnte Grace nicht Frauen wie Bette ausliefern. Sie würden sie zerstören. Sie wären selbstverständlich nicht direkt unhöflich, dazu waren sie viel zu raffiniert. Ihre Waffen waren Worte und Blicke und die hohe Kunst des Schweigens. Doch das waren gegen eine Frau wie Grace noch grausamere Waffen. Sie würden sie zermürben, bis außer Elend und Unglück nichts mehr von der Frau übrig wäre, die er einmal Boudicca genannt hatte. Zu ihrem eigenen Besten musste er sie vor ihnen beschützen.
Er nickte Lord Castlereagh zu. Von der gegenüberliegenden Seite des Saales aus lächelte Sir Charles Stuart ihm zu und winkte. Diccan wollte Grace nicht verletzen. Sie war eine nette Frau. Sie war achtbar und bieder, verdammt. Aber das hier war einfach nicht ihre Welt. Das hier war seine Welt. Er fühlte sich lebendig, wenn er sich in diesen Gewässern tummelte, wo Regeln gemacht wurden und ab und zu die Zukunft riskiert wurde. Darin war er verdammt gut. Doch welche Erfolgsaussichten hatte er mit einer Ehefrau wie Grace?
In dem Moment erschien Marcus Drake. Seine Miene wirkte ernst. »Ich muss mit dir sprechen.«
Wieder verspürte Diccan das Kribbeln in seinem Nacken. Ohne ein Wort trat er auf den Balkon hinaus.
»Heute Abend bist du bei einem sehr innigen und vertrauten Essen mit deiner Frau beobachtet worden«, sagte Marcus ohne Vorgeplänkel. Sein Ton war vorwurfsvoll.
Diccan seufzte. »In dem Bericht hätte ruhig erwähnt werden können, dass unser Abschied nicht eben freundlich war.«
Drake musterte ihn, als wollte er herausfinden, wie aufrichtig er war. »Ich weiß, dass es nicht leicht ist, aber dir muss bewusst sein, dass wir nicht die Einzigen sind, die dich im Auge haben.«
Es dauerte einen Moment, bis Diccan antwortete. »Weißt du das mit Sicherheit?«
Drake blickte in den Garten, der im Dunkeln lag. »Einer von Thirsks Männern hat sie gesehen.«
Es irritierte Diccan, dass ihm seine Verfolger nicht aufgefallen waren. »Ist es jemand, den ich kenne?«
»Nein. Ich werde dafür sorgen, dass man dich unauffällig auf diese Leute hinweist.«
»Gut. Ich denke, ich werde heute früher gehen, um meine Männer zu informieren.«
»Erst wenn du den Rest gehört hast.«
Diccan beschlich bei Drakes Ton eine böse Vorahnung. Er hielt inne. »Was denn noch?«
Marcus sah sich auf dem Balkon um, doch sie waren allein. »Bentley ist tot.«
Diccan erstarrte. »Was? Kein Selbstmord.«
»Nein. Nicht wie Evenham.«
Nicht wie Evenham – mit einer Explosion von Blut, das er in seinen Träumen noch immer riechen konnte. »Wie dann?«
»Man hat ihm die Kehle durchgeschnitten.«
Diccan spürte, wie ihm der Atem stockte. »Ich nehme nicht an …«
»… dass ihm eine Nachricht in seinen Körper geritzt wurde?« Drake fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, und Diccan konnte die Bestürzung in seinen Augen erkennen. »Die Information ist vertraulich. Der Öffentlichkeit wird erzählt, dass er von Straßenräubern überfallen und getötet worden ist. Aber ja, die Nachricht stand auf seinem Rumpf. Das ist ein weiser Vater, der seinen eigenen Sohn kennt. «
Diccan rieb sich über die Stirn. »Der Chirurg. Bedeutet das, dass der alte Mann in die Sache verwickelt war?«
»Wir wissen es nicht. Ist es dir gelungen, in seinem Haus einen deiner Leute unterzubringen?«
Diccan nickte.
»Du musst mit mir kommen. Wir müssen deine Leute auf den neuesten Stand bringen. Und dann müssen wir uns die ganze Situation noch einmal genauer ansehen. Bentley ist zuletzt mit Thornton gesehen worden.«
Diccan schüttelte bereits den Kopf. »Thornton? Er hat nicht einmal genug Verstand, um eine Geburtstagsfeier organisieren zu können – geschweige denn eine Revolution.«
»Ja, doch er steht Geoffrey Smythe so nahe wie ein Bruder. Und der hat den Verstand. Außerdem arbeitet er in Sidmouths Büro im Innenministerium. Wir denken, dass es an der Zeit ist, dass du dich wieder näher mit der Gruppe anfreundest.«
Diccan reagierte gereizt. Plötzlich machte ihn das falsche Spiel wütend. »Warum lassen wir das nicht die Profis machen?«
Drake beugte sich zu ihm. »Evenham hat gesagt, dass es ein Leck im Innenministerium gibt. Ich glaube, er hatte recht. Das bedeutet, dass wir ihnen nicht trauen können. Sie können ihre eigenen Leute nicht
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