Lustvolles Erwachen
entgegnete Grace zögerlich und blickte an ihrem Kleid herab.
Kate seufzte laut auf. »Sag nicht, dass ich meine Zeit mit dir vergeudet habe, Grace. Mach es von Anfang an richtig. Im Übrigen wirst du mit mir zusammen sein. Und wer wird dich im Schatten meiner Pracht überhaupt sehen?«
Kate trug ihre typische Tagesgarderobe. Es war ein Kleid in Grün und Creme – wie das von Diccans Mutter. Doch mit den Farben endeten auch schon die Ähnlichkeiten, denn Kate trug ein Kutschenkleid aus gestreiftem Sarcenet-Stoff, eine apfelgrüne kurze Jacke mit geschlitzten spanischen Ärmeln und eine große Haube aus Stroh, die mit Früchten bestückt war.
Kate hatte natürlich recht. »Wie immer«, sagte Grace, »beuge ich mich deiner Weisheit.«
Nachdem sie ihre Haube aufgesetzt und ihren Umhang angelegt hatte, führte Grace ihre Freundinnen zu dem Landauer, der auf sie wartete.
»Wo ist Thrasher?«, fragte sie, als sie anstelle des zwölfjährigen Stallburschen von Kate einen hochgewachsenen Mann in mittleren Jahren erblickte. Mit seinem Mondgesicht und den langsamen Bewegungen wirkte er in Kates Livree irgendwie fehl am Platz.
»Das ist George«, verkündete Kate und tätschelte seinen Arm. »Er hat gefragt, ob er mal London sehen dürfe, also habe ich ihn vom Gutshof mitgebracht. George ist bei mir, seit ich zehn Jahre alt war. Stimmt’s, George?«
George hatte ein Lächeln wie ein zu groß geratenes Kind. »Das stimmt, Miss Kate.«
Er half den Damen in die Kutsche, nahm dann seinen Platz in dem Landauer ein und fuhr los. Es war einer der seltenen Tage mit klarem Himmel und einer leichten Brise. In den umliegenden Gärten leuchteten die letzten Blumen, und der Wind trug den Duft von Rosen mit sich.
Der Park war gut besucht. Spaziergänger flanierten die Wege entlang, und Kutschen rollten auf den Fahrstreifen. Es war eine Szene voller Farben, voller Lachen und voller Schönheit – die feine Gesellschaft in Bestform.
»Also«, sagte Kate und nickte Lady Yardley und ihren beiden Töchtern zu, als sie in einer rosafarbenen Kutsche, die zu ihren Kleidern passte, vorbeifuhren, »ehe wir zu dir kommen, haben wir Neuigkeiten.«
Sie griff in ihre Damenhandtasche, zog einen Brief hervor und reichte ihn Grace. Er war abgestempelt von Jack Wyndham, dem Earl of Gracechurch, und enthielt eine Einladung, die Grace mit Freude las.
»Olivia und Jack heiraten noch einmal!«, rief sie. »Oh, ich hoffe, wir können zur Hochzeit gehen.«
»Selbstverständlich wirst du hingehen.« Kate schnaubte. »Du glaubst doch wohl nicht, dass diese Hochzeit ohne die drei Grazien vollständig wäre, oder?«
Grace fuhr mit den Fingerspitzen über die Einladung, als könnte das dabei helfen, die Erinnerung an die gefahrvollen Tage nach der Schlacht von Waterloo wiederaufleben zu lassen. Damals waren drei vollkommen fremde Frauen, die nur die »drei Grazien« genannt worden waren, zu wahren Freundinnen geworden. Grace wollte nicht darüber nachdenken, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie ihre Freundinnen nicht gehabt hätte.
»Es ist nicht vorauszusagen, was Diccan in einem Monat zu tun hat, ob er Zeit hat, wo er ist.«
Kate zuckte mit den Schultern und winkte einer Gruppe von gut aussehenden Männern zu, die an ihnen vorbeiritten. »Es spielt überhaupt keine Rolle, ob Diccan da ist oder nicht. Du wirst da sein.«
Grace lächelte flüchtig. »Wer bin ich denn, dir widersprechen zu wollen.«
»Genau. Also, Grace«, sagte Kate, »wenn Fanchon dich nicht so in Aufregung versetzt, wer ist es dann?«
Instinktiv blickte Grace sich um, um zu sehen, ob jemand in Hörweite war. Eine Menge Menschen betrachteten die Kutsche, aber keiner von ihnen war nahe genug, um sie belauschen zu können. »Ich brauche Unterricht.«
Kate hob eine Augenbraue. »Wenn ich über die Dinge nachdenke, die ich weiß, bin ich mir nicht sicher, ob ich wissen will, worin. Soll ich vorsichtshalber mein Riechfläschchen hervorholen?«
»Das ist nicht nötig. Ich muss lernen, wie ich Diccan eine gute Ehefrau sein kann.«
Beide Frauen starrten sie an. »Bist du verrückt?«, entgegnete Kate. »Du bist schon jetzt viel zu gut für ihn.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt, Kate. Ich bin nicht einmal annähernd das, was Diccan braucht. Ich habe mein Leben beim Militär verbracht, und das ist nicht gerade die Welt von Abendeinladungen und kultivierten Unterhaltungen. Niemand hat mir je etwas über Takt oder Etikette oder Tabuthemen beigebracht. Himmel, die einzige
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