Lustvolles Erwachen
des Hellfire Club zu sein.
»Du warst während einer militärischen Belagerung in einer feindlichen Stadt in Indien? Hattest du keine Angst?«
Sie erinnerte sich an die Tage in den sonnendurchfluteten Räumen hoch über der Stadt und weit weg von den Kämpfen zurück und lächelte. »Ich nehme an, ich hätte Angst haben sollen. Ich war vierzehn Jahre alt und von Einheimischen auf der Straße nach Deeg vor Banditen gerettet worden. Leider war das, kurz bevor unsere Armee vorrückte. Der einzige Grund, aus dem ich verschont blieb, war, dass Ranjit Singh dachte, ich wäre Irin. Er meinte, es wäre eine Tatsache, dass die Iren die Briten hassen würden.«
»Es muss eine enorme Erleichterung gewesen sein, schließlich gerettet worden zu sein.«
Sie konnte in seinem Blick lesen, was er vermutete: Sie war von der Hölle in den Himmel gekommen, indem sie aus den großen Toren des Forts Lohagarh getreten war.
In ihrem Kopf allerdings spielte sich etwas anderes ab. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie das Sonnenlicht durch die vergitterten Steinfenster und Scharten der Zenana – so nannte man den Wohnbereich der Frauen – fiel und zarte Muster bildete. Sie hörte die plätschernden Brunnen, die die Marmorhallen mit Musik erfüllten. Beinahe konnte sie den Jasmin wieder riechen, das Gemurmel der wunderschönen, zarten Frauen hören, die sich um sie kümmerten und ihr Zuckerwerk und Honig gaben. Und wie das Annähern des Riesen im Märchen hörte sie auch die Detonationen der riesigen Geschütze, als Lake mit Kanonenkugeln auf die massiven Lehmmauern unten am Berg schoss.
An einigen Tagen hatte sie an den großen Fenstern des Forts gestanden und versucht, ihren Vater jenseits des Festungsgrabens zu entdecken, wo die Armee sich ständig aufgelöst und wieder neu formiert hatte wie fleißige Ameisen in Rot. An einigen Tagen hatte sie sich gefragt, ob sie wirklich gerettet werden wollte.
Doch war das etwas, das sie mit Diccan teilen konnte? Die Kehle wie zugeschnürt, versuchte sie es. »Natürlich war ich froh. Mein Vater hatte sich die größten Sorgen gemacht. Aber ich kann nicht behaupten, dass ich in irgendeiner Weise misshandelt worden wäre. Ich habe mir die Zeit vertrieben, indem ich den Frauen in der Zenana beigebracht habe, wie man knobelt. Sie haben mir Henna-Tattoos gemacht. Ich habe es für ein großes Abenteuer gehalten.«
Hinter ihr keuchte jemand auf. Grace sah auf und bemerkte, dass eine Frau am Nebentisch sie durch ihr Opernglas hindurch entsetzt ansah. Tatsächlich wurde sie auch von anderen beobachtet, die mitten in der Bewegung innegehalten zu haben schienen, als wären sie zu neugierig, um weiterzuessen.
Grace errötete. Sie suchte bei Diccan nach Unterstützung, doch er hatte die Frau offenbar auch gehört. Er sah die Dame an, und seine Miene war mit einem Mal angespannt. »Etwas, das du vielleicht nicht jedem erzählen solltest«, sagte er und blickte wieder zu Grace. Plötzlich klang er kühl und widerwillig.
Ihre schwache Hoffnung war mit einem Schlag dahin. »Warum?«
Er zog eine Augenbraue hoch und senkte die Stimme. »Glaubst du wirklich, dass Geschichten aus einer Zeit, die du in einem heidnischen Harem verbracht hast, angemessen für eine höfliche Unterhaltung bei Tisch sind?«
Grace machte den Mund auf, um zu widersprechen, aber Diccan hatte sich bereits wieder dem Essen zugewandt. Sie war versucht, damit herauszuplatzen, welches Wissen die Frauen hinter vorgehaltener Hand und von Eunuchen bewachter Tür noch mit ihr geteilt hatten. Sie wollte ihm versichern, dass sie, wenn sie all das angewendet hätte, was sie dort gelernt hatte, ihr Schamhaar niemals hätte färben können – denn sie hätte gar keines gehabt.
»Ich dachte, dass zumindest du dich darüber amüsieren könntest«, sagte sie. Sie wollte nicht einfach klein beigeben.
»Ich bin mir nicht sicher, warum ich das tun sollte.« Sein Lächeln war kalt, als er zusah, wie der Kellner den nächsten Gang auftrug. Der Duft von Rindfleisch vertrieb die Erinnerung an Jasmin und Zuckerwerk. »Eigentlich bin ich kein Verfechter des Ungewöhnlichen.«
Grace sah ihn an und hoffte, hinter seiner Überheblichkeit seinen feinen Humor entdecken zu können. Doch sie konnte es nicht. »Bist du nicht dem diplomatischen Korps beigetreten, um die Welt kennenzulernen?«
Er nahm seine Gabel. »Ich bin dem diplomatischen Korps beigetreten, um so weit weg von meinem Vater zu sein wie nur irgend möglich. Bisher hat das gut funktioniert.«
»Wenn
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