Lustvolles Erwachen
geschüttelt, um die weibliche Stimme zu vertreiben, die er hoffte, sich nur eingebildet zu haben. Er wandte sich um und hatte mit einem Mal Angst vor dem, was er erblicken würde.
Sie trug das reizendste silberne Seidenkleid, das er je gesehen hatte. Ihr blondes Haar war zu wilden Locken frisiert, die ihr in den Nacken hingen. Sie hatte Brüste wie Granatäpfel und ein umwerfendes Lächeln, als sie ihn ansah. Sie breitete die Arme aus. An ihren Handgelenken hingen Armbänder mit Diamanten, die er ihr selbst gekauft hatte.
Ein Gefühl von Resignation ergriff ihn, und er wollte eigentlich laut fluchen. Stattdessen nahm er die hübschen kleinen Hände in seine und lächelte. »Minette, meine Liebe. Du bist gekommen.«
Kapitel 13
Grace hörte im Laufe von Tagen Gerüchte über Diccans Liebelei. Sie hätte es leichter ertragen können, wenn es sie nicht so unvorbereitet getroffen hätte. Immerhin hatte sie kurz zuvor die schönsten zwei Wochen ihres Lebens erlebt. Sie und Diccan hatten viel Zeit miteinander verbracht, hatten Interessen geteilt und gemeinsam gelacht. Er hatte sie sogar geküsst – und das waren keine flüchtigen Küsse auf die Wange gewesen. Es waren lange, innige Verschmelzungen von Mündern und Atem und Zungen gewesen. Sie hatte gedacht, er hätte ihre Hoffnungen für die Zukunft geteilt.
Es wäre leichter gewesen, wenn die Gerüchte nicht mehr als ein anzügliches Flüstern gewesen wären. Haben Sie gehört, mit wem Diccan Hilliard zusammen gesehen worden ist? Das hätte sie als die unwiderstehlichen Verlockungen von Klatsch und Tratsch einfach ignorieren können. Aber dieser Klatsch ging mit Blicken voller offensichtlich falschem Mitgefühl einher. Tja, das hat ja nicht lange gedauert, bis er sich anderweitig vergnügt hat, nicht wahr? Armes Ding. Ich hoffe, sie hat sich nicht mehr davon versprochen.
Sie sagte nichts. Schließlich hatte Diccan sich so ehrenhaft verhalten und sie geheiratet. Er begleitete sie noch immer zu gesellschaftlichen Anlässen, auch wenn er von Tag zu Tag ein bisschen distanzierter und angespannter wurde. Niemand konnte, nüchtern betrachtet, mehr von ihm verlangen. Und man konnte ihn nicht dafür verantwortlich machen, dass Grace’ unrealistische Hoffnungen sich in Luft auflösten. Grace war sich sicher, dass er nicht einmal gewusst hatte, dass sie diese Hoffnungen gehegt hatte.
Also hatte es keinen Zweck zuzugeben, dass sie gehört hatte, dass Diccan seine wunderschöne Geliebte durch die Stadt begleitet hatte. Sie wusste inzwischen gut genug, dass dieses Eingeständnis die Gerüchte nur noch weiter anheizen würde. Es würde niemanden interessieren, dass sie nächtelang an die Decke gestarrt und darauf gelauscht hatte, Diccans Schritte auf der Treppe zu hören, oder dass sie sich fühlte, als wäre etwas Wertvolles und Zerbrechliches in ihr zerstört worden. Die Leute hatten es besser gewusst als sie und nichts anderes erwartet.
Und so vergrub sie den Schmerz wieder einmal tief in sich, wo er neben all dem anderen Schmerz Platz finden musste, und widmete sich der Einrichtung ihres Hauses. Kate meinte, dass Diccan Blau-, Braun- und Cremetöne vorziehen würde. Grace befolgte den Vorschlag ihrer Freundin, auch wenn sie sich innerlich nach den sonnigen, leuchtenden Farben sehnte, die sie sich einst für ihr Zuhause vorgestellt hatte. Jeden Morgen ritt sie mit Kit aus, der ihr ergebener Begleiter geworden war, arbeitete dann vormittags im Krankenhaus und nahm abends an den Veranstaltungen teil, die Kate für nötig erachtete.
Sie verbrachte Nachmittage damit, das richtige gesellschaftliche Verhalten zu üben. Jede Lektion drängte sie weiter in eine Rolle hinein, in die sie einfach nicht passte. Es fühlte sich wie ein schlecht sitzendes Korsett an. Galoppiere nicht im Park. Sprich nicht über Politik, vor allem nicht mit einem Politiker. Sprich niemanden an, der über dir steht – was so gut wie jeder ist –, sondern warte ab, bis du angesprochen wirst. Stelle nicht deine Freundschaft mit Soldaten zur Schau. Und zeige niemals Gefühle. Weder Freude noch Wut, Angst oder Verzweiflung.
Kate beachtete diese Regeln nicht und konnte sich das erlauben. Doch sie war eben nicht nur eine Witwe, sie war Kate. Grace dagegen war eine schlichte, unbekannte Frau, die sich ungewollt auf die gesellschaftliche Bühne gedrängt hatte. Sie war Gegenstand von Zorn und Mitleid, und ihr Mann hatte sein Urteil über sie schon gefällt.
Wenn sie anders erzogen worden wäre, hätte sie
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