Lustvolles Erwachen
»Roberts kann nur auf einem Auge sehen. Auf dem schwarzen Marmor wird er ihn niemals entdecken.«
»Das ist noch so eine Sache«, entgegnete Diccan gereizt und ging zur Treppe, auf der sie noch immer stand. »Was hast du dir dabei gedacht, ausgerechnet einen einäugigen Butler mit Hinkebein einzustellen?«
Bei seinen Worten, die denen seiner Mutter ähnelten, bröckelte ihre Entschlossenheit noch ein Stückchen. »Aha«, sagte sie und fühlte sich mit einem Mal leer und kalt, »du verstehst jetzt, warum ich Epona nach Hause schicken muss. Und was Roberts betrifft – für ihn gilt dasselbe wie für mich: Man braucht Zeit, um über die Makel hinwegzusehen, bevor man uns akzeptiert.«
Und ehe er etwas darauf erwidern konnte, war sie schon an ihm vorbei ins Frühstückszimmer gegangen. Sie machte sich nicht die Mühe, ihr Hinken zu verbergen. Sie hoffte, dass er ihr nicht folgte.
Natürlich folgte er ihr. Aber er kam nur bis zur Tür. »Grace, es tut mir leid. Das war nicht nett von mir. Es ist nur … Ich bin gerade in eine wichtige Angelegenheit verwickelt und reagiere ein bisschen ungeduldig und gereizt.«
Sie konnte ihn nicht ansehen, also konzentrierte sie sich darauf, Platz zu nehmen. »Selbstverständlich. Sehe ich dich heute Abend bei den Lievens?«
Eine ganze Weile herrschte Stille. Dann seufzte Diccan, als wäre seine Kraft aufgezehrt. »Selbstverständlich. Ich habe allerdings vorher eine Besprechung. Gehst du mit Kate?«
Benny, der neue zweite Diener, kam herein, um ihr Kaffee einzuschenken.
»Ich kann mir vorstellen, dass sie mich abholt«, sagte Grace und rührte bedächtig etwas Sahne in ihren Kaffee.
»Zieh heute Abend das bronzefarbene Kleid an«, schlug er vor. »Das gefällt mir besonders gut.«
Selbstverständlich würde sie das bronzefarbene Kleid tragen. Sie wünschte sich, sie hätte die innere Kraft, ihm zu sagen, er solle zur Hölle fahren, doch in ihr gab es noch immer einen Rest Hoffnung. Und jedes Mal, wenn sie verzweifeln wollte, war er nett zu ihr.
Am Nachmittag ließ sie nach Schroeder schicken, die ihr beim Ankleiden helfen sollte. Lange kam keine Antwort, und dann hörte Grace ein Klopfen an Diccans Tür und Bennys Stimme. Ein Murmeln, eine angstvolle Rückfrage, das Lachen einer Frau.
Schroeder. Grace erkannte das Timbre ihrer Stimme. Woher hatte Benny gewusst, dass er in Diccans Zimmer nach ihr suchen musste?
Grace stand eine ganze Weile da und starrte die Verbindungstür an. Das würde er nicht tun , dachte sie. Nicht hier in meinem Haus. Mit meiner Zofe. Er hat doch schon eine Geliebte. Sie presste die Hand auf den Mund, weil sie fürchtete, lachen zu müssen. Denn wenn sie erst damit begann, würde sie vermutlich nie wieder aufhören.
Schroeder klopfte an und kam herein. Sah sie selbstzufrieden aus? War ihr Haar zerzaust? Würde Grace es jemals mit Sicherheit wissen? Oder würde sie in eine Welt abtauchen, in der sie nie wieder eine hübsche Frau ansehen könnte, ohne sich zu fragen, ob sie in Diccans Bett gewesen war?
Grace bereitete sich für die Lievens vor, als würde sie ein Himmelfahrtskommando antreten. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte tun sollen. Schroeder ließ ihr ein Bad ein und half ihr anschließend in ihr wunderschönes bronzefarbenes Kleid mit dem eckigen Ausschnitt, dem hauchdünnen gemusterten Überkleid und den Puffärmelchen. Grace fragte sich, ob ihrer Zofe aufgefallen sein mochte, dass ihre Herrin zusammenzuckte, wenn sie sie berührte, und fragte sich, ob sie sich in ihrer Gegenwart jemals wieder wohlfühlen würde.
»Noch eines«, sagte Schroeder und wollte Grace eine flache, eckige Schatulle reichen, »Mr. Hilliard hat mich ausdrücklich gebeten, dafür zu sorgen, dass Sie die hier heute Abend tragen. Er sagt, die Stücke hätten seiner Urgroßmutter gehört.«
Grace starrte die Schatulle an, als handelte es sich dabei um eine Schlange. Ein jähes Lachen entrang sich ihr – sie hörte sich an wie eine Wahnsinnige. O Gott, er hatte gar nicht mit Schroeder geschlafen. Er hatte ihr nur heimlich dieses Geschenk für seine Frau gegeben. Grace fühlte sich so unglaublich dumm. Sie nahm die abgewetzte braune Lederschatulle entgegen. Mit einem Mal zitterten ihre Hände. Sie öffnete den Verschluss, klappte den Deckel auf und hielt den Atem an.
Aquamarine. Nicht groß, aber perfekt aufeinander abgestimmt. Das klare satte Meeresblau hob sich gegen das Weißgold der Fassungen ab. Es waren eine Halskette, ein Armband und Ohrringe. Grace konnte
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