Lux Aeterna (German Edition)
etwas wie Empfindungen spüren. Der Vampirfürst erhob sich von dem großen Tisch, an dem er mit einem Stapel Bücher vor sich gesessen hatte. Leander nahm eine der alten Chroniken in die Hand.
„Wie ich sehe, studierst du eure Vergangenheit“, bemerkte er leise, so dass die Studenten, die sich ebenfalls in der Bibliothek aufhielten, es nicht hören konnten.
„Ich glaube, vieles davon sind nur Legenden“, erwiderte Jason unbeteiligt.
„Glaub mir, darin steckt mehr Wahrheit, als du ahnst. Vielleicht ist es deine Aufgabe, diese zu erforschen“, war die Antwort des Halbengels. Dann stellte er sich kurz als Jasons vom Cadre Noir ernannten Mentor vor.
„Und worin besteht deine Aufgabe genau?“, fragte Jason.
Leander nahm auf dem Stuhl neben ihm Platz und auch der Vampirfürst setzte sich wieder.
„Ich würde mich ja gerne mit dir telepathisch unterhalten“, begann der Atlanter, „doch ich traue euch nicht. Das gilt für euch alle.“
Jason hob die Augenbrauen. „Und warum arbeitest du dann für den Cadre Noir?“
„Das ist mein Fluch“, antwortete Leander. „Wie du siehst, haben wir alle unsere Sünden hier auf Erden abzutragen… oder die Sünden unserer Väter“, philosophierte er weiter. „Ich habe in Atlantis die Geburt eurer Rasse miterlebt, als die Engel sich mit den Irdischen paarten. Die gefallenen Engel aus Luzifers Heer erschufen die Vampire. Auch ich bin eines dieser vergessenen Kinder Gottes, doch ohne eure Gaben“, ergänzte er und legte eine Hand auf das Buch vor ihm. „Ich habe einige dieser Legenden miterlebt.“
Jason wurde ungeduldig. „Und was willst du – oder besser gesagt, der Cadre – von mir?“
„Du bist der erste Fürst der Neuzeitvampire. Du trägst eine große Verantwortung.“ Er hielt inne, bevor er weitersprach. „Ich hoffe, du wirst ihr gerecht.“
Wieder war es kurze Zeit still. Nur ab und zu ein Hüsteln der anwesenden menschlichen Besucher in den Bibliotheksräumen unterbrach die geflüsterte Unterhaltung der beiden Unsterblichen.
„Ich bin das, was du einmal warst – ein Mittler zwischen den Welten“, begann Leander wieder.
Ja, so hatte Rita Hold ihn damals einmal genannt, erinnerte sich Jason. Der Blick des Halbengels fiel auf ein anderes Buch auf dem Tisch. Ein kurzes Aufleuchten in seinen Augen war die Folge.
„Gibt es einen bestimmten Grund, warum du die Geschichte einer Vampirfürstin verfolgst? Oh, gib dir keine Mühe, ich kann es mir denken. Es sind die Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Du bist also im Besitz einer Einhornwaffe – der von Rabea“, stellte er fest.
Jason antwortete nicht. Er wusste immer noch nicht, warum die alten Vampirmeister ihm diesen Mentor zugewiesen hatten.
„Ich besitze die Waffe von Nolan, dem Fürsten der dunklen Engel, der vor seiner Transformation zum Menschen ebenfalls ein Einhorn war und sich opferte, um Antaris zu vernichten“, erzählte Leander.
„Somit sind wir also ebenbürtig, was die Waffen angeht“, bemerkte Jason nur und musterte sein Gegenüber mit seinen tiefbraunen Augen.
Der Atlanter zeigte keine Regung. „Stimmt. Jeder kann den anderen damit töten. Die einzige Waffe, solch außergewöhnliche Geschöpfe wie uns zu vernichten“, war die Antwort.
* * *
In weniger als achtundvierzig Stunden sollte der Vampirfürst Jason Dawn ganz andere Probleme haben.
Es war purer Zufall, dass die Regierungen der Menschen eine neue Waffe gegen die Vampirrasse in die Hände bekamen: Es geschah auf einem der Konzerte in einem Londoner Club mit seiner neuen Band Rouge et Noir . Die Zuschauer waren außer Rand und Band, sie schrien, kreischten und klatschten bei den rockig-fetzigen Titeln mit den melancholisch-düsteren Texten. Eine Filmproduktion unter der Leitung der hübschen TV-Journalistin Miriam Cole nahm das Livekonzert auf. Keiner von ihnen ahnte auch nur, dass diese Band aus realen Vampiren bestand. Plötzlich warf einer der angetrunkenen, tobenden Teenager aus der ersten Reihe einen Leuchtstab auf die Bühne, der auf den Hals der Bassgitarre traf. Der grün leuchtende Stab zerbrach und die chemische Lösung lief über die Hand des Bassisten. Innerhalb von Sekunden wurde die Haut des Vampirs durchdrungen, die Chemikalie fraß sich in die Adern. Es sah im Halbdunkel der Bühne aus, als würde der Musiker von innen heraus verbrennen. Er sackte zusammen, hatte nicht einmal Zeit zu schreien. Alles erstarrte. Von einem Augenblick auf den anderen herrschte Totenstille im Saal.
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